3.1. Maß für Maß
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Das Reale der Perspektive – Der Barock, die Lacan’sche Psychoanalyse und das ‚Untote‘ in der Kultur (07/2013)
Vermutlich 1604 geschrieben, speist sich »Maß für Maß« aus verschiedenen Quellen: Die Komödie bearbeitet eine italienische Novelle von Giraldi Cinthio von 1565, aber auch das 1578 gedruckte, wahrscheinlich niemals aufgeführte englische Stück »Promos and Cassandra« von George Whetstone.23 Mit der Geschichte eines (freilich nur inszenierten) Regierungswechsels spielt »Maß für Maß« zudem deutlich auf den Einschnitt an, den die Machtübernahme Jakobs I. nach dem Tod Elisabeths im März 1603, der Wechsel der englischen Krone von den Tudors zu den katholischen Stuarts und damit das Ende des gesamten elisabethanischen Zeitalters darstellten.24 Auffällig ist aber auch, dass die Handlung stark an eine Passage aus Machiavellis »Principe« erinnert, die sich im siebten Kapitel, »Von den neuen Alleinherrschaften, die mit fremden Truppen und durch Glück erobert wurden«, findet. Ihres Witzes wegen soll sie in Gänze zitiert werden:
Nach der Eroberung der Romagna fand er (Cesare Borgia, S. K.), dass diese Provinz durch die Unfähigkeit ihrer Beherrscher, die ihre Untertanen eher ausgeplündert als in Zucht und Ordnung gehalten hatten, arm und verdorben geworden und dass im ganzen Lande Parteien, Raub, Gewalttätigkeiten und Mord herrschend waren. Er überzeugte sich daher, dass bloß eine gute Regierung die Ruhe wiederbringen und das Land an Gehorsam gegenüber der Regierung gewöhnen...