Thema
Zerstörung des Erbes
Das Georg-Lukács-Archiv in Budapest wurde geschlossen – Folge der politischen Verhältnisse, aber auch des Zeitgeists
von Erik Zielke
Erschienen in: Theater der Zeit: Unter Druck – Das Theater in Ungarn (04/2018)
Im Herzen von Budapest, direkt an der Donau gelegen, befand sich das Lukács-Archiv, das ein einzigartiges Werk lebendig halten sollte. Schon oft totgesagt, ist es seit dem 1. März dieses Jahres geschlossen. Zahlreichen Toden war der marxistische Philosoph und Literaturtheoretiker Georg Lukács zuvor entgangen. Der zweiten kommunistischen Regierung der Welt, der nur wenige Monate im Jahr 1919 währenden Ungarischen Räterepublik, gehörte er als stellvertretender Volkskommissar an; die Niederschlagung derselben kostete ihn ebenso wenig das Leben wie seine fortwährende illegale Arbeit für die Kommunistische Partei Ungarns in den zwanziger Jahren. Auch dass er als eigenständig denkender Marxist in der stalinistischen Sowjetunion nicht dem „Großen Terror“ zum Opfer fiel, ist durchaus bemerkenswert. Nicht minder erstaunlich ist es, dass er sein Exil in Moskau, das 1930 begann, unterbrach, um sich – als kommunistischer Intellektueller und jüdischer Ungar – 1933 ausgerechnet im faschistischen Deutschland aufzuhalten. Lukács kehrte gerade noch rechtzeitig in die russische Hauptstadt zurück, bis der Kriegsverlauf es ihm erlaubte, 1944 in seine ungarische Heimat zurückzukehren. Als einer der zentralen Akteure wurde er dort nach der Niederschlagung des Volksaufstands 1956 sofort verhaftet; anders als einige seiner Mitstreiter entging er allerdings der Hinrichtung. Was folgte, war ein Totschweigen im Ostblock. Die Linke in Westdeutschland...