Theater der Zeit

Protagonisten

Marktplatztheater bei Minusgraden

Die Ungewissheit in der Corona-Pandemie trifft die 24 deutschen Landesbühnen hart – dennoch versuchen sie sichtbar zu bleiben mit fantasievollen Aktionen

von Elisabeth Maier

Erschienen in: Theater der Zeit: Das Lachen der Medusa – Feminismus Theater Performance u. a. mit Barbara Vinken (01/2021)

Assoziationen: Akteure Landestheater Schwaben

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Die Botschaft verbreiten“ hat Pfarrer Ludwig Waldmüller, katholischer Dekan in Memmingen, mit dickem Filzstift auf ein Pappschild gekritzelt, welches er fröhlich in die Kamera hält. Das Foto hat er an das Landestheater Schwaben geschickt, das diesen und andere Beiträge auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht.

„Theater kann das“ heißt die kunterbunte Aktion, mit der die Bühne in den sozialen Medien und auf öffentlichen Plätzen auch während des Lockdowns auf sich aufmerksam macht. Mit Plakaten in Regenbogenfarben wirbt das Landestheater für die Kunst. „Gerade jetzt müssen wir als Theater sichtbar bleiben“, findet Kathrin Mädler, die Intendantin der bayerischen Landesbühne. Dass so viele Bürgerinnen und Bürger dem Aufruf gefolgt sind, sich mit Selfies für ihr Haus stark zu machen, zeigt der Chefin, „wie wichtig das Theater für die Gesellschaft ist“.

Nicht nur in der Stadt Memmingen im Allgäu, auch auf dem Land spielt die Bühne. „Wir tragen die Kultur in die Dörfer“, verweist Mädler auf den wichtigen Auftrag, den die 24 Landes­bühnen in Deutschland haben. Doch gerade die Abstecherbühnen haben es in Zeiten der Corona-Pandemie schwer. Oft seien es kleinste Kulturvereine oder „einfach nur ein kulturbegeistertes Ehepaar“, die die Gastspiele des Landestheaters Schwaben organisieren. In jahrzehntealten Hallen oder an kleineren Spielorten im Hinterzimmer sei es oft schwer oder gar nicht möglich, Abstands- und Hygienekonzepte umzusetzen.

Diese Erfahrung macht auch André Nicke. Der Intendant der Uckermärkischen Bühnen in Schwedt verweist darauf, dass in Brandenburg „Landesbühnen-Strukturen erst aufgebaut werden müssen“. Erst 2017 wurde sein Haus zu einem von zwei Landestheatern in Brandenburg ernannt. Deshalb reist der Theatermann immer wieder in die Städte und Dörfer. Gemeinsam mit den Veranstaltern sucht er nach Möglichkeiten, wie seine Bühne Theater auch in diesen schwierigen Zeiten ins Land tragen kann. „Unsere Technik hilft dabei, für jeden Spielort eine individuelle Lösung zu finden“, sagt Nicke. Aber einfach sei das nicht.

In der aktuellen Situation macht dem Theaterchef des Einspartenhauses vor allem die Ungewissheit zu schaffen: „Weil die Ansagen seitens der Politik so kurzfristig kommen, lässt sich kaum noch vernünftig planen.“ Zur Zitterpartie gerät auch seine Planung für die Landesbühnentage, die vom 24. bis 28. März 2021 in Schwedt stattfinden sollen. Obwohl Nicke gemeinsam mit ­seinen Intendantenkollegen aus ganz Deutschland ein Corona-konformes Konzept für das Theatertreffen der Abstecherbühnen ausgetüftelt hat, ist völlig offen, ob im März überhaupt wieder Vorstellungen stattfinden dürfen.

Hoffen auf die Gelben Engel

„Als Theater sichtbar bleiben“ ist auch für Thorsten Weckherlin das Gebot der Stunde. Der Intendant des Landestheaters Tübingen (LTT) ist Vorsitzender der Landesbühnengruppe im Deutschen Bühnenverein. Zwar hat Baden-Württemberg mit dem LTT, der Württembergischen Landesbühne Esslingen und der Badischen Landesbühne Bruchsal gleich drei vom Land geförderte Abstechertheater, die seit Jahrzehnten ein dichtes Netz von Gastspielorten aufgebaut haben. Aber die Klagen aus den Kulturämtern werden auch in seinem Umfeld immer lauter. Weckherlin befürchtet, dass spätestens im Jahr 2021 auch bei den kommunalen Zuschüssen für Kunst und Kultur der Rotstift angesetzt wird.

Wie geht der Tübinger Theaterchef mit der Situation um? Im Sommer hat er im Hof einer ehemaligen Stuhlfabrik Balkon­theater gemacht. Auch mit neuen Formaten wie einem Audiowalk durch das Französische Viertel hat sein Team experimentiert. Das kam nicht nur beim Publikum sehr gut an. „Ein Rad am Thespiskarren hat schon immer geeiert“, sagt der Optimist und lacht.

„Wenn’s zwei Räder tun, ruft man den ADAC. Hoffen wir also auf die Gelben Engel! Wir kriegen das schon irgendwie hin.“ Weil seit dem zweiten Teil-Lockdown am 3. November die Theater wieder geschlossen sind, geht Weckherlin mit seinem Ensemble auf den Tübinger Marktplatz, spricht mit Passanten und diskutiert über die gesellschaftliche Bedeutung der Theater. Selbst bei Minus­graden ist das LTT präsent. „Man kann auch während der Schließzeit viel machen mit Kleinstformaten in Kirchen, privaten Wohnzimmern oder sogar am Telefon“, ist der Intendant überzeugt. Als Vertreter einer tarifgebundenen und staatlich bezuschussten ­Bühne habe er allerdings gut reden: „Sorgen mache ich mir um die Theater, die nicht so gut abgefedert sind wie wir.“

Nach dem ersten Lockdown im März hat Manuel Schöbel, der Intendant der Landesbühnen Sachsen in Radebeul, die Sommersaison genutzt, um dem Publikum möglichst viele Angebote zu machen. Da die Felsenbühne in Rathen derzeit wegen Bau­arbeiten geschlossen ist, haben der Theaterchef und sein Team in dem Kurort in der Sächsischen Schweiz ein Theaterzelt aufgebaut. Da fanden vierzig Vorstellungen der Sparten Schauspiel, Musiktheater und Konzert statt. Vor der historischen Kulisse des Schlosses Moritzburg gab es 19 Vorstellungen des Musicals „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Auf dem Konzertplatz Weißer Hirsch in Dresden fand ein Musikprogramm statt. Entlang der Elbe war die Landesbühne Sachsen ebenfalls im gesamten ­Spielgebiet präsent: Ab Ende August zeigte die Tanzkompanie ­unter dem Label „Beethoven Today“ Performances und Improvisationen.

Viele der geplanten Abstecher waren wegen der Hygiene- und Abstandsvorgaben nicht möglich. „Einige Gastspiele der ­unterschiedlichen Sparten in den traditionellen Orten von Bad Elster bis Meißen haben wir aber doch realisieren können“, sagt Schöbel. Vorstellungen in Klassenzimmern, in Kindergärten und in verschiedenen Freizeiteinrichtungen waren in Sachsen – anders als zum Beispiel in Bayern und Baden-Württemberg – von August bis Ende Oktober möglich. Wie groß gerade bei Kindern und Jugendlichen der Wunsch war, Theater live zu erleben, hat Schöbel da deutlich gespürt. „Die Nachfrage ist groß. Und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit auch.“ Aus seiner Sicht ­haben die Veranstalter gemeinsam mit den Experten des Theaters die Corona-Verordnungen bestens umgesetzt. Auch mit ­digitalen Angeboten auf der Homepage des Theaters hat Schöbel gute Erfahrungen gemacht.

„Jetzt aber ist es schwierig, den Gastspiel- und Abstecher­betrieb weiter zu planen“, verweist der Intendant des Landes­theaters Sachsen auf die aktuelle Hängepartie. Abgesehen von den finanziellen Schwierigkeiten, mit denen die Partner in den Kommunen zu kämpfen hätten, sei die Nachfrage beim Publikum nach wie vor groß. Die sächsische Landesregierung wie auch die Bundesregierung verwenden nach Schöbels Worten „steigende Aufmerksamkeit auf die Situation der Theater und Orchester“. Und auch über den Deutschen Bühnenverein gebe es gute Gesprächsebenen. Dennoch verweist Schöbel darauf, dass staatliche wie auch private Bühnen angesichts der hohen Verluste auf finanzielle Hilfen angewiesen seien. Wichtig findet es der Intendant der sächsischen Landesbühnen, „Theater und Konzert nicht allein als Teil eines Unterhaltungsangebots zu formulieren.“ Vor allem betont er die Bedeutung des Theaters als Ort der gesellschaft­lichen Kommunikation. Kulturelle Angebote sind für ihn der Schlüssel zur Bewältigung der Corona-Krise.

Die Buchungen laufen schleppend

Besonders hart trifft der Lockdown die Burghofbühne in Dins­laken, da das Haus in Nordrhein-Westfalen fast ausschließlich als Gastspielbetrieb unterwegs ist. „Die Ungewissheit ist auch für uns wirklich schwer, wir müssen viele Absagen abfedern“, schildert Intendant Mirko Schombert die schwierige Lage. Ein Großteil der Ausfälle entstehe durch behördliche Auflagen. „Zugleich wächst die Unsicherheit bei den Veranstaltern vor Ort.“ Dann würden Gastspiele schon im Vorfeld abgesagt. Das wirkt sich auch bereits auf die nächste Spielzeit aus: „Die Buchungen laufen schleppend an, da die Gastspielorte sehr vorsichtig agieren.“

Als im Sommer wieder geprobt werden durfte, startete die Burghofbühne durch. „Sobald es wieder möglich war, haben wir unsere Produktionen vor deutlich reduziertem Publikum gezeigt“, sagt der Theaterchef. Wenn die Realisierung einer Produktion ­unter Corona-Bedingungen nicht möglich war, habe man die ­Stücke bis zur Generalprobe gebracht. Wo es möglich war, haben die Regieteams flexibel reagiert und uminszeniert. „Wir halten die Produktionen, bis wir sie dann spielen können“, sagt Schombert und ist optimistisch, dass es nach dem Winter wieder eine ­Perspektive gibt. Geprobt wird an der kleinen Landesbühne mit transparenten Gesichtsmasken.

Den Kontakt zum Publikum haben Schombert und sein Team gehalten – etwa mit Homestorys auf den Social-Media-­Kanälen. Da plauderten Theatermenschen vor der Kamera aus dem Nähkästchen. Als kleine Bühne habe man aber nicht die ­technischen Möglichkeiten, ein umfassendes digitales Konzept zu erarbeiten. Eine Jugendproduktion, die die Burghofbühne in ­Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung er­arbeitet hat, wurde aufgezeichnet. Darauf könnten Schulklassen zurückgreifen. Allerdings habe es da bisher keine Nachfrage ge­geben. Solche Digitalangebote seien für ein Theater sowieso eher ein Gimmick, sagt Schombert.

Sorgenvoll blickt der Theaterchef auf die finanzielle Lage seines Hauses. Bei einem Eigeneinnahmeanteil von 35 Prozent könne man die Verluste anders als manche vergleichbaren Häuser nicht durch Kurzarbeit und drastische Sparmaßnahmen auf­fangen. „Wir sind auf finanzielle Hilfen angewiesen, um die Existenz des Theaters zu sichern“, stellt Schombert klar. Er wünscht sich seitens der Politik „einen etwas größeren Planungszeitraum“. Außerdem sollten Vertreterinnen und Vertreter der Kulturbranche künftig in Entscheidungen einbezogen werden. Die finanzielle Lage der Kommunen und die Ausstattung der Kulturhaushalte sind für die Burghofbühne entscheidend. Da schlägt der Intendant Alarm: „Auch wenn wir durch direkte Hilfen als Theater gerade noch so aufgefangen werden, sind wir mittel- und langfristig von den Buchungen der Gastspielorte abhängig.“ Sollten dort die Etats zurückgefahren werden, würde das seine Bühne mit siebzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern „existenzbedrohend“ treffen. Daher wünscht sich der Theaterchef vor allem eine stabile Perspektive und Hilfen für die Kulturämter vor Ort. //

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