Theater der Zeit

Thema

Ich bin nicht Hamlet

Der Schauspieler Lars Eidinger über seine Konfrontationen mit Shakespeare im Gespräch mit Thomas Irmer

von Thomas Irmer und Lars Eidinger

Erschienen in: Theater der Zeit: Wie es euch gefällt – Christian Friedel vertont Shakespeare (12/2016)

Assoziationen: Schaubühne am Lehniner Platz

Anzeige

Anzeige

Lars Eidinger, seit 2008 haben Sie über 280 Mal „Hamlet“ gespielt und über 100 Mal „Richard III.“, beides in der Regie von Thomas Ostermeier an der Schaubühne Berlin. Es besteht kein Zweifel, dass Sie derzeit der führende deutschsprachige Shakespeare-Darsteller im Theater sind. Wie ist das, mit Hamlet älter zu werden?
Das Positive ist, dass ich merke, wie ich immer virtuoser werde. Ich weiß genau, was erzählt werden soll, und so kann ich immer freier in meiner Interpretation werden. Das birgt aber auch die Gefahr, dass man zu überlegen wird. Hamlet als Figur ist unsicher, fühlt sich bedroht, hat Angst – das sollte der Schauspieler nicht überwinden. Da hilft, sich in Gefahr zu begeben, um das Ganze lebendig und die Stellen spannend zu halten, die sich abzunutzen drohen. Man kann ja auch nicht acht Jahre lang auf die gleiche Weise denselben Witz erzählen, ohne dass es einem langweilig wird – da kann der Witz noch so gut sein. Man muss den Aufwand betreiben, den Witz neu zu interpretieren und sich der Pointe gegenüber naiv zu verhalten.

Bei „Richard III.“ spielen Sie auf einer nach dem Vorbild des elisabethanischen Theaters eingerichteten, vom Globe Theatre inspirierten Bühne.
Deswegen haben wir „Richard III.“ auch so oft gespielt, weil die Bühne aufwendig aufzubauen ist. Es lohnt sich nur, wenn wir mehrere Vorstellungen in großen Blöcken spielen, was ungewöhnlich für das deutsche Repertoiretheater ist. Zudem ist „Richard III.“ auch immer ausverkauft. Diese Bühne schafft eine Intimität, die kein anderer Raum ermöglicht. Sie kommt der Spielweise bei Shakespeare-Stücken sehr entgegen, die auf Interaktion, auf Nähe, auf direkten Kontakt zum Publikum angelegt sind – gerade mit diesen vielen Monologen und à parts, bei denen sich die Figuren direkt an den Zuschauer wenden. Bei „Richard III.“ heißt es einmal mittendrin „rückgratlose Idiotin, dumme oberflächliche Frau“. Das ist keine Anrede, sondern eindeutig ein Kommentar Richards zum Publikum über Elisabeth, die gerade abgegangen ist.

Das elisabethanische Theater basierte auf Kommunikation in hohem Tempo. Dass der „Hamlet“ als textlängste der Shakespeare-Tragödien in nur zweieinhalb Stunden gespielt wurde, hat Heiner Müller immer fasziniert. Bei der Dichte der Sprache müssen die Leute eine enorme Auffassungsgabe gehabt haben. Ist Richard für Sie eine zeitgenössische Figur oder jemand, der aus der Ferne Shakespeares kommt?
Jede Figur von Shakespeare ist zeitgenössisch, weil sie mit einer universellen Relevanz ausgestattet ist. Das sind alles Grundkonflikte des Menschseins, die unüberwindbar und immanent sind.

Jetzt hat Richard ein besonderes Auftreten: ein aufgeschnallter Buckel, dazu ein Kopfkorsett. Und in der buchstäblich umwerfenden Szene mit Lady Anne sind Sie nackt.
Fehlbildungen haben schon immer eine große Faszination auf die Menschen gehabt, denken wir nur an Kuriositäten-Kabinette. Sieht man dergleichen, ist man immer in dem Konflikt, auf der einen Seite genau hinschauen zu wollen, und sich diesen Blick auf der anderen Seite aus moralischen Gründen zu verbieten. Diese Faszination des Kreatürlichen umfasst Gefühle von Abneigung und Ekel bis hin zu sexueller Attraktivität. Das hat mich vor allem dabei interessiert.
Die Nacktheit habe ich gleich bei der ersten Probe ausprobiert. Die große Frage bei der Szene mit Lady Anne ist, womit er sie eigentlich bekommt? Zu der Qualität von Shakespeare gehört in diesem Fall, dass er das nicht genau festlegt. Richard versucht in erster Linie, Lady Anne zu überrumpeln. Ich habe gedacht, vielleicht ist meine Nacktheit eine solche Überrumpelung. Und mir gefiel bei der Nacktheit außerdem, dass man das Kreatürliche, aber auch das Spielerische noch mehr betonen konnte. Ihr seht, ich habe gar keinen Buckel, der ist nur aufgeschnallt – und ich spiele das über die Art, wie ich gehe.
Das ist, was mich beim Spielen generell interessiert: Ich bin nicht Richard und werde es nie sein. Sondern ich bin Lars Eidinger und spiele Richard III. Das finde ich viel ehrlicher, offener, sinnlicher und komplexer und interessanter als die Illusion der Verwandlung. Es geht beim Spielen nicht um Verstellung, Lüge und Verwandlung, es geht um Aufrichtigkeit sich selbst, dem Partner und dem Publikum gegenüber, aber vor allem auch gegenüber der Spielsituation.

Dass man Ihnen so gleichsam doppelbödig und durchlässig beim Spielen zusehen kann, diese Qualität von Spiel, ist das eine Auffassung, wie man Shakespeare heute auf die Bühne bringen kann?
Der offensive Umgang mit dem spielerischen Moment war für mich eine große Erkenntnis, die ich durch die Auseinandersetzung mit Shakespeare gewonnen habe. Das ist eine Spielweise, die ich für mich entwickelt habe. Auf der Schauspielschule wird einem beigebracht, dass man durch die Betonung des Spielerischen Gefahr läuft, die Figur, die Szene, das Ganze zu verraten. Aber inzwischen weiß ich, das Gegenteil ist der Fall. Man macht es noch intensiver. Ich sehe keinen Widerspruch, wenn ich in einem bestimmten Moment des Spielens noch andere Sachen mache und denke. Das macht das Spiel noch viel aufregender und komplexer. Deswegen ist der Satz Brechts mein großes Credo: „Die Widersprüche sind unsere Hoffnungen.“

Sprechen wir über die Neuübersetzungen der beiden Stücke von Marius von Mayenburg, die in ihrer kräftigen Klarheit viele Metaphern in Shakespeares „Hamlet“ und „Richard III.“ freilegen, die beispielsweise in der Übersetzung der Romantiker August Wilhelm Schlegel und Dorothea Tieck heute völlig oder ziemlich unverständlich bleiben würden. Marius von Mayenburg spricht von einer Doppelbelichtung: Man braucht die aktuelle Sprache und die historische darunter.
Ich liebe Marius’ Übersetzung. Bei „Hamlet“ hat sie sich über die Jahre bewiesen. Das hat auch damit zu tun, dass er nicht bereits vorhandene Übersetzungen verbessert und zu einer neuen zusammengestrichen hat, sondern wirklich vom Original ausgeht. Bei geflügelten Worten wie „Der Rest ist Schweigen“ – „the rest is silence“ allerdings geht er mit Schlegel/Tieck, weil die korrektere Übersetzung, „der Rest ist Stille“, den Zuschauer wahrscheinlich eher irritieren würde. Bei „Richard III.“ ist „the winter of our discontent“ nicht der „Winter unseres Unbehagens“, sondern sehr viel konkreter „der Winter unserer Erniedrigung“.

Sie haben mit „Romeo und Julia“ selbst Shakespeare inszeniert. Zufällig sah ich das zusammen mit einer polnischen Kollegin, und die war ganz begeistert, weil sie das erste Mal das Stück nicht als romantische Liebestragödie erlebte, sondern den ganzen Spielwitz darin und die Vitalität, die Sie mit den jungen Spielern da herausgestellt haben.
Das war die Idee. In der ersten Szene erfahren wir, dass Romeo sich für eine Rosalie interessiert, die ihn aber verschmäht und dann im Stück nicht auftaucht. Danach trifft er Julia – und sie verabreden sich zum Sex, nicht für eine romantisch stilisierte Liebe. Daraus ergibt sich alles. Ich wollte dem Theater das Romantische, Mystische nehmen. Die Gefahr bei dieser Spielanlage war natürlich, dass die jungen Spieler der Komödie anheimfallen und die tragischen Momente vernachlässigen. Daher musste ich die Schauspieler immer wieder dazu ermutigen, auch die dunklen Stellen zu zeigen. Ironische Distanz ist im Theater immer die größte Gefahr. Shakespeare aber verlangt nach der unmittelbaren Konfrontation. //

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Cover Recherchen 167
Cover Rampe vol.2
Cover B. K. Tragelehn
Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"

Anzeige