Theater der Zeit

Protagonisten

Verlassen Sie das Haus und retten Sie Ihr Leben!

Rabih Mroué betreibt im Sommerbau eine Exegese psychologischer Kriegsführung

von Björn Hayer

Erschienen in: Theater der Zeit: Angst und Widerstand – Thema Afghanistan (10/2021)

Assoziationen: Akteure

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Wer glaubt, Kunst könne nichts bewegen, wird spätestens in der Lecture-Performance „Before Falling Seek the Assistance of Your Cane“ des Regisseurs und Schauspielers Rabih Mroué eines Besseren belehrt. Sein Vortrag im Sommerbau des Frankfurter Mousonturms gibt genug Stoff für eine Groteske her und präsentiert eine erstaunliche Story: Im Rahmen einer Ausstellung im Salzburger Kunstverein plakatiert er vor dem historischen Gebäudekomplex ein Flugblatt. Zu sehen ist darauf das Piktogramm einer Bombe, die folgenden Hinweis beinhaltet: „This Location will be bombed shortly. Leave your homes and safe your lifes“ („Dieser Ort wird in Kürze bom­bardiert werden. Verlassen Sie das Haus und retten Sie Ihr ­Leben“). Wie der Libanese, dem als Jugendlicher selbst ein solches Warnpapier vor einem Luftangriff in Beirut zuflog, darlegt, haben die Pamphlete eine lange Geschichte. Bereits im Vietnamkrieg fanden sie Anwendung. Aber gilt das dann gleich auch für das schöne Salzburg unserer Tage? Zumindest aus Sicht einer Passantin, die bei Betrachtung des Flugblatts prompt die Polizei ruft, die wiederum ein Evakuierungsmanöver des Kunstvereins einleitet. Dass Kunst eine derartige Wirksamkeit entfaltet, kann man sich als Performer nur wünschen.

Aber mal ehrlich: „Is art a terrorist?“, so die Frage Mroués. Nein, eine Terroristin ist die Kunst ganz gewiss nicht, dafür aber ein sehr geeignetes Aufklärungsmedium. Vor einem MacBook sitzend, liest das Multitalent auf Englisch und spielt derweil Bilder ab. Dabei werden wir nicht nur Aufnahmen des Projekts in der beschaulichen Mozart-Stadt gewahr, ferner sehen wir, wo sich das Piktogramm etwa noch finden lässt, nämlich mitunter auch auf Material, das Neonazis zur sogenannten Flüchtlingskrise 2015 entwickelten. Das vermeintlich humanitäre Anliegen, die Zivilbevölkerung frühzeitig von einem Bombenangriff in Kenntnis zu setzen, verkehrt sich somit ins Gegenteil. Es entpuppt sich als Psychowaffe – als Motor der Angst, im realen Krieg wie gleichsam in der Propaganda der Rechten.Und so ist dieser Abend weniger durch schauspielerische Volten als vielmehr durch eine konzentrierte Exegese gekennzeichnet. I­mmer wieder umkreist der Vortragende die Bedeutung der vom gottlosen Himmel herabfallenden Dokumente, bezeichnet sie als „Einladung zum Exitus“, als „One-Way-Ticket“, das als einzige Richtung nur die Flucht nennt, als scheinbare und vorauseilende Lossagung der Invasoren von ihrer Schuld.

Man könnte meinen, diese an verschiedenen Orten der Welt sich ereignende, perverse Inszenierung von Fürsorge für die Bevölkerung sei weit weg. Mehrmals vermittelt allerdings der Zufall dem Publikum, wie sich das Frühwarnsystem für die Betroffenen anfühlen mag. Denn über ihm streifen lautstarke Flugzeuge den nächtlichen Himmel. Die Nähe Offenbachs, wo die Lesung im Rahmen des Programms „This Is Not Lebanon. Festival for Visual Arts, Performance, Music and Talks“ stattfindet, zu den Frankfurter Start- und Landebahnen mutet beklemmend an. Der Sommerbau, die aufwendig gebaute Freilicht-Arena des Künstlerhauses Mousonturm, erfüllt in diesem Fall also eine geradezu dramaturgische Funktion.

Angeordnet als Hexagon, können die Zuschauerinnen und Zuschauer dort in den Seitenlogen des Metallgerüstes oder in der ebenerdigen Mitte Platz nehmen. Obwohl man sich unter einem weiten und offenen Sternenzelt befindet, ist die Atmosphäre sehr intim (und, nebenbei, die Corona-Ansteckungsgefahr weithin gebannt). Man ist dem Künstler nah, kann mit ihm im Anschluss sogar einen Spaziergang zur Nachbesprechung erleben. Sicherlich darf man bei dieser Premiere keine phänomenale Ästhetik erwarten. Nichtsdestotrotz veranschaulicht sie die Macht der Sprache – zum einen tragischerweise für die Strategen hinter den Bombardements, zum anderen für das Theater selbst. Hierin besteht der eigentliche Gewinn der Aufführung: in einer Bühnenkunst, die manchmal nichts weiter braucht als das Wort, gründend auf Welterfahrung, Schmerz und allen voran dem Geist des Widerstandes. Denn Mroués Lesung ist mehr als Klage. Sie entspringt dem Bewusstsein, dem Krieg, so brutal er sein mag, keinen Triumph einzuräumen. Er kann zerstören, aber ihm fehlt stets das ­Narrativ, das stärkste Mittel der Kunst. //

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