„Die Sonne drang durch die Wolken, der Wind fegte heftig den Himmel rein, das Silikat blendete, Parts musste mit der Hand die Au- gen beschirmen, neben einem Gebüsch flog ein Schwarm Tauben auf, er wandte den Kopf in ihre Richtung, aber sah nichts, der Himmel war zu weiß.“
Sofi Oksanen, die wohl wichtigste zeitgenössische Autorin Finnlands, die selbst estnische Wurzeln hat, erlaubt es dem Himmel über Estland nur kurz aufzubrechen – denn in „Als die Tauben verschwanden“ gibt es keine Hoffnung auf gleißendes Licht, das die trüben Kriegs- und Besatzungstage erhellen könnte. Erzählt wird eine Geschichte, die von menschlichem Unheil handelt, das während der zweifachen Okkupation Estlands über seine Bewohner hereinbricht. Dicht und komprimiert wird darin die sich über 20 Jahre erstreckende dunkle Historie eines besetzten Landes über drei in sich verwobene, sich immer wieder verlierende Lebensläufe und die sich darin wiederfindenden Sehnsüchte erzählt: Roland kämpft für die Freiheit Estlands, sein Cousin Edgar giert nur nach Macht und Anerkennung, während sich dessen Ehefrau Juudit nach Liebe verzehrt.
Doch „Als die Tauben verschwanden“ ist nicht nur Sehnsuchtssuche, Liebesgeschichte, Familienepos – es ist auch Lehrstunde in Sachen Geschichtsschreibung und avanciert dadurch zum ausgemachten Psychothriller. Denn genauso langsam und behäbig, wie während der...