Protagonisten
Kultur ist das neue Salz
Nach ihrem Abschied als Chefin der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg verantwortet Elisabeth Schweeger nun die Kulturhauptstadt 2024 im Salzkammergut
von Elisabeth Maier
Erschienen in: Theater der Zeit: Thema Ukraine: Serhij Zhadan „Lieder von Vertreibung und Nimmerwiederkehr“ (04/2022)
Assoziationen: Akteure Baden-Württemberg Elisabeth Schweeger

Haltung und klare Kante zeigen, das ist die künstlerische Philosophie von Elisabeth Schweeger. Das vermittelt die Professorin auch ihren Studierenden. Acht Jahre lang hat die Kulturmanagerin, Intendantin und Dramaturgin die Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg in der schwäbischen Provinz geleitet. Mit Kontakten in viele Länder, einer weltweiten Akkreditierung der Lehre und mit dem internationalen Furore Festival hat sie das Profil der Hochschule geschärft, die Schauspieler:innen, Regisseur:innen und Dramaturg:innen ausbildet. „Wir haben die Lehre hier gut gerockt“, schwärmt die Wienerin. Mit 68 Jahren wechselt sie nun nach Bad Ischl ins Salzkammergut. Da ist sie seit November neue Chefin der Kulturhauptstadt 2024: „In dieser Aufgabe verbinden sich alle meine Berufserfahrungen, die ich an meinen Stationen gesammelt habe.“
Solche Aufbrüche reizen die große Theaterfrau. Angefangen hat sie nach dem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und der Philosophie in Wien als Dozentin. Wissen lustvoll zu vermitteln, das gefällt ihr. Elisabeth Schweeger unterrichtete an der Universität der Angewandten Künste und später an der Akademie für Bildende Kunst. Dann arbeitete die charismatische Vernetzerin als Chefdramaturgin am Residenztheater München. Von 2001 bis 2009 war sie Intendantin am Schauspiel Frankfurt. Dann baute sie von 2009 bis 2014 die KunstFestSpiele Herrenhausen in Hannover auf. Auch da wagte sie Neues, holte Künstler:innen wie Vivienne Westwood, Bianca Jagger, Christoph Schlingensief und Christof Nel. Es hat sie motiviert, dass das Festival von Beginn an umstritten war. So erwachte der Kampfgeist der Vermittlerin. Ungewöhnliche Konzepte beim Publikum durchzusetzen, darin liegt für sie eine wichtige Aufgabe der Kunst. Dass man sich in der Kultur immer wieder gegen Widerstände behaupten muss, gibt sie ihren Absolventen mit auf den Weg. Menschen und Teams zu führen und sie zu entwickeln, das liegt der leidenschaftlichen Lehrerin.
In Bad Ischl geht es nun darum, Impulse für eine ganze Region zu setzen. Dass sie die Sprache der Menschen spricht, von denen viele nur selten aus ihren Dörfern herausgekommen sind, sieht die weltoffene Theaterfrau da als ein großes Plus. Die Aufgabe, die Kulturhauptstadt 2024 im Salzkammergut in der idyllischen Bergwelt zu realisieren, findet die Literaturwissenschaftlerin schwierig und spannend zugleich. „Es geht ja nicht nur um Bad Ischl“, sagt die Österreicherin. 23 Gemeinden haben sich für das gemeinsame Projekt zusammengeschlossen, „da ziehe ich meinen Hut“. Salz habe die Gegend bekannt gemacht, Bergbau war die bedeutendste Arbeitswelt. Der Abbau war im Besitz der Habsburger, die Arbeiter waren Leibeigene. Das Motto der Kulturhauptstadt heißt „Kultur ist das neue Salz“, wobei der Salzabbau nach wie vor eine große wirtschaftliche Bedeutung hat und Arbeitsplätze sichert.
Die Geschichte von Macht und Tradition der Habsburger beschäftigt die Festivalmacher, daran wollen sich Schweeger und ihr Team abarbeiten und kritisch reiben. Aber auch das jüdische Leben haben sie im Blick. In Zeiten des Nationalsozialismus habe die Arisierung da gewütet. Die Menschen sind von den Schergen Hitlers regelrecht ausgerottet worden. Dieses dunkle Kapitel will sie umfassend aufarbeiten, das Schweigen darüber brechen. Ein weiteres Thema in der „wahnsinnig schönen Alpenlandschaft“ ist für sie der Fremdenverkehr. Der künstlerischen Leiterin geht es um die Entwicklung eines Kulturtourismus, der nicht zerstörerisch auf die Umwelt wirkt und den Menschen das ganze Jahr über eine Existenz bietet. Sie möchte auch das Landleben in den Blick nehmen. In der Region leben, aber global vernetzt sein. Da will Schweeger mit Kunstschaffenden, Wissenschaftler:innen und Politikern nachhaltige Konzepte anstoßen und etablieren. Gerade bei dieser Vernetzung beschleunige die Digitalisierung innovative Ansätze. In eleganten dunklen Kostümen und mit ihrer feinen, souveränen Art behauptet sich Schweeger auch auf politischem oder wirtschaftlichem Parkett. Das hat sie in ihrer langen Laufbahn gelernt.
Die Akademie in der Barockstadt Ludwigsburg vor den Toren Stuttgarts verlässt Elisabeth Schweeger mit einem weinenden Auge. Die Freiräume für die Lehre hat sie genossen. Die Studierenden wie auch das Kollegium haben ihr selbst in Zeiten von Corona einen schönen Abschied beschert. „Adieu Sisi“ ist auf einem Plakat zu lesen, das am Theaterturm im Akademiehof hängt. Die Reminiszenz an die österreichische Kaiserin entlockt der resoluten Kulturmanagerin ihr charmantestes Lächeln. Das moderne Bauwerk mit besten technischen Möglichkeiten für die Studierenden hat der Bühnenbildner Martin Zehetgruber entworfen. Gegenüber der Theaterakademie liegen die Gebäude der Filmakademie. Um den Studierenden möglichst umfassende Perspektiven zu bieten, arbeiten beide Hochschulen eng zusammen.
Eine produktive, angstfreie Atmosphäre hat die künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin am Haus geschaffen. „Ein gutes Gefühl“ steht in rosaroter Neonschrift über der Bar im Foyer. Das bringt den Geist des Hauses auf den Punkt. Elisabeth Schweeger war für die jungen Theaterkünstler:innen im besten Sinn ein Coach. Beim Furore Festival mit Produktionen internationaler Theaterakademien gab sie am Rande auf Bierbänken auch ganz spontan einen Tipp für Sponsorensuche oder Öffentlichkeitsarbeit. Oder sie hörte sich die Sorgen der jungen Künstler:innen an. Ihr Ziel war es stets, die jungen Menschen selbst ihre Erfahrungen sammeln zu lassen – auch wenn dann manches nicht ganz so perfekt klappte. Geduldig, energisch und kritisch hat sie die Arbeit ihrer Studierenden begleitet. Viele von ihnen sind Grenzgänger, die in mehreren Disziplinen zu Hause sind – wie etwa die Regieabsolventin Amanda Lasker-Berlin. Sie ist auch als Romanautorin erfolgreich. Der Austausch mit der Professorin habe ihr Mut gemacht, den Spagat zu wagen, ist die junge Künstlerin überzeugt. Als Dramaturgin und Journalistin hat Schweeger ein feines Gespür für konstruktive Kritik. Auch davon haben die jungen Menschen sehr profitiert.
Mit dem Zentrum für Politische Schönheit und Rimini Protokoll haben bekannte Kollektive den Studierenden ästhetische Horizonte geöffnet. Regisseur Christof Nel hat als einer ihrer langjährigen Weggefährten die Studierenden als Mentor begleitet. Innovative Theaterformen haben die jüngeren Regisseure wie Tom Stromberg und Christian von Treskow den Studierenden vermittelt. Daraus entstanden öffentliche Präsentationen, die weit über Ludwigsburg hinaus ihr Publikum fanden. Neben dem festen Stamm aus Professoren und Lehrenden arbeitete Schweeger viel mit Gästen. Dass die Hochschule jenseits der Theaterzentren liegt, sorgte aus ihrer Sicht für die notwendige Ruhe zum Arbeiten. „Man kann hier sehr konzentriert seine Projekte verfolgen“, lobte Wilke Weermann die Arbeitsbedingungen ebenso wie so viele Inspirationen. Der Regisseur und Autor hat mit seinen digitalen Projekten den Sprung an große deutsche Bühnen geschafft.
Im Elfenbeinturm hatte das Theater für die Chefin der Ludwigsburger Akademie nie etwas zu suchen. Deshalb liegen ihr politische und gesellschaftliche Themen am Herzen. Besonders stolz ist sie auf ein Symposium an der ADK, das die Nachhaltigkeit am Theater in den Blick nahm. Da diskutierten junge Künstler:innen mit Expert:innen aus Kunst, Politik und Wissenschaft über Möglichkeiten, künstlerisch gegen die Klimakrise aktiv zu werden. Mit der Reihe „Montags an der ADK“ hat Schweeger ein Diskussionsformat etabliert, das die Studierenden mit Experten aus Kunst, Politik und Wissenschaft zusammenbringt. Der Staatsanwalt Thomas Will, der die Zentrale Stelle der Landesjustiz zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen leitet, war da ebenso zu Gast wie der Kulturmanager Julian Warner, der das Kunstfestival der Region Stuttgart kuratiert. Das Angebot lockte auch eher theaterferne Besucher ins Haus.
Als politisch denkende Theaterfrau ließ Schweeger ihren Blick immer in die Welt schweifen. Deshalb hat sie unter anderem eine Kooperation mit Künstler:innen in Burkina Faso und ihrer Akademie ins Rollen gebracht. Das Projekt Emergency Exit für ehemalige Studierende der Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE) in Budapest hat sie federführend gemeinsam mit Kolleg:innen von vier Hochschulen angestoßen. Nach der Übernahme der Universität durch eine regierungsnahe Stiftung hätten die jungen ungarischen Theatermacher so die Möglichkeit, ihre Abschlüsse an anderen Universitäten im Ausland zu machen. Dieses Projekt brachte ihr und ihren Mitstreitern 2021 den Europäischen Bürgerpreis ein.
Die Ausbildung junger Theaterkünstler:innen zukunftsfähig zu machen, war ein großes Ziel der Professorin. Vor ihrem Abschied baute Elisabeth Schweeger an der ADK gemeinsam mit anderen Universitäten einen transnationalen Master-Studiengang Performative Künste auf. „Das Programm ist unabhängig von nationalen Vorgaben“, bringt die 68-Jährige das Konzept auf den Punkt. Zwei weitere Master-Studiengänge sind geplant. Für junge Schauspieler:innen soll es einen multilingualen Studiengang geben, der die Spieler:innen auch für den englischsprachigen Markt fit macht. Für die angehenden Regisseure ist das ADK Lab international geplant – da arbeiten die Studierenden künftig freier und mit namhaften Regisseur:innen zusammen. „Auch die Dramaturgie möchten wir in größeren Zusammenhängen denken.“ Schweeger hat diese Neuerungen angestoßen. Wer die Akademie ab dem Sommersemester leiten wird, gibt das baden-württembergische Ministerium für Wissenschaft und Kunst demnächst bekannt. //