Theater der Zeit

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Auftritt

Berliner Ensemble: Starabend ohne Widerspruch

„Fremder als der Mond“, Texte von Bertolt Brecht mit Musik von Hanns Eisler u.a., Einrichtung von Adam Benzwi, Oliver Reese und Lucien Strauch – Regie Oliver Reese, Musikalische Leitung Adam Benzwi, Bühne Hansjörg Hartung, Kostüme Elisa Schnizler, Video Andreas Deinert

von Niels Willberg

Assoziationen: Theaterkritiken Berlin Dossier: Bertolt Brecht Oliver Reese Berliner Ensemble

Katharine Mehrling und Paul Herwig in „Fremder als der Mond“ – die Eröffnungsproduktion in der Regie von Oliver Reese am Berliner Ensemble. Foto JR Berliner Ensemble
Katharine Mehrling und Paul Herwig in „Fremder als der Mond“ – die Eröffnungsproduktion in der Regie von Oliver Reese am Berliner EnsembleFoto: JR Berliner Ensemble

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Auf der Bühne bleibt sein Stuhl leer. Der Theaterregisseur Brecht muss heute draußen sitzen bleiben. Was ihn sicher nicht stört. Im Gegensatz zum großen Bild des Theaterrevolutionärs soll an diesem Abend ein subtileres gezeichnet werden. 

Oliver Reese eröffnet die neue Spielzeit mit einem Liederabend, der ganz den Gedichten, Tagebuchaufzeichnungen und Fragmenten Brechts gewidmet ist. Die ausgewählten Texte dienen als Material für eine musikalische Nacherzählung seiner Lebensgeschichte. Vor allem die Kompositionen Hanns Eislers, Paul Dessaus und Kurt Weills erklingen unter der musikalischen Leitung des Pianisten und Stars der Komischen Oper Adam Benzwi. Als Stimme des Abends hat Oliver Reese Katharine Mehrling für die Inszenierung gewonnen. Die virtuose Sängerin und Schauspielerin ist ein Publikumsliebling und hat einen fast schon legendären Ruf (sowie exzellentes Marketing) als selbstbewusste Chansonnière und Piaf-Interpretin. Zusammen mit Paul Herwig, der vor allem die autobiografischen Aufzeichnungen als kleine szenische Nummern darstellt, ergibt sich ein Duo, das ein gefühlsbetontes Gegenbild Brechts zeichnet, sich gegenseitig schauspielerisch und singend unterstützend.

Hansjörg Hartung hat ein großes Geschichtskaleidoskop aufgebaut, ein Portal oder Grab, das ins Innere der Bühne führt und Vexierelemente auf verschiedenen Ebenen für die Szene bietet. Das wiederum sieht ohne jeden Spott erhaben aus. Besonders wenn die Bilder der Geschichte durch gebeamte Videoeinspieler von Andreas Deinert (sonst oft Castorfs Kameramann) tatsächlich auf dem grauen Marmor dieses Allerheiligsten erscheinen. Bilder der Bücherverbrennung, amerikanischer Skylines und immer wieder Bäume werden vom Tunnel der Geschichte eingesaugt.

Der Theaterabend bewegt sich irgendwo zwischen Nummernrevue und Solodarbietung und soll eine bis jetzt auf der Theaterbühne eher weniger beachtete Seite Brechts zeigen: den lyrischen und musikalischen Schriftsteller. Ein anderer Brecht also. Einer, den das Publikum für seine Poesie und Verletzlichkeit liebt. Und der Theaterkassen und Sitzreihen füllt. Das Konzept leuchtet ein und soll offenbar eine erneute Rückbesinnung auf den Gründer des eigenen Theaters und seine abseitigen weniger ausgeleuchteten Facetten sein.

Die Eröffnung der neuen Spielzeit auf diese Art ist strategisch klug. Anstatt auf seine Ambivalenz und Störung der Verhältnisse setzt Reese hier auf einen gefälligeren Brecht. „So, wann kann ich mal lustig sein?“ heißt es in „Wechsel der Dinge“. Paul Herwig äußert diesen Satz im ersten Dialog und der Sinn der Worte weicht einem Motto für seine Darbietung. Seine betont psychologische Interpretation Brechts wird durch die komödiantischen Einlagen, die sich Reese ausgedacht hat, allerdings nicht kontrastreicher. Die Regie ist bei all dieser musikalischen Extravaganz etwas in den Hintergrund getreten. Mehrling und Herwig spielen die Nummern meist handwerklich hervorragend, die Einfälle Reeses bleiben aber bloße Illustrierung der Texte, etwa wenn Mehrling im Hochzeitskleid auf einem Bett mit Champagnerflaschen „Das Lied vom Weib des Nazisoldaten“ singt oder Herwig zwischen der „Liturgie vom Hauch“ und dem „Kälbermarsch“ besagten Brechtstuhl mit dem Beil zerhaut und die Beleuchtung in Rottöne übergeht.

So zurückhaltend die Regie ist, so beeindruckend ist die Textauswahl für das Stück. Zusammen mit seinem Dramaturgen Lucien Strauch und Adam Benzwi hat sich Reese im lyrischen und autobiografischen Werk Brechts auf die Suche gemacht und die gefundenen Textfragmente um die vertonten Gedichte herum zu einem runden Ganzen angeordnet, hinführend zu einem Satz, der bei Reese leider wie ein Werbeslogan klingt: „Mein Herz geht zu schnell. Sonst ist alles in Ordnung.“ Diesen Satz aus „Und ich werde nicht mehr sehen“ lässt er Mehrling ganz zum Schluss sagen, bevor das Black den Abend so abrupt wie pflichtbewusst beendet und tosender Konzerthallenapplaus das Theater erschüttert.

Das dritte Motto des Abends ist (natürlich) der Titel aus „Liebeslied aus einer schlechten Zeit“: „als wir einander in den Armen lagen / fremder als der Mond.“ Reese zeigt den lyrischen Brecht als einen solchen. Romantisch verklärt und ein bloßer Trabant der eigenen Kunst.

Technisch perfektioniert und konzeptuell stromlinienförmig; mit großer Stimme, aber zu clean singt Katharine Mehrling, sie ist ganz die große Brechtsängerin, eine Helene Weigel in Verkleidung, die dem Publikum vermittelt, dass sie alles singen könnte. Hier singt sie allerdings fast alles auf dieselbe Art. Die Versuchungen der Marke Brecht sind stärker.

Zurück bleibt das Gefühl eines wie ein Diamant schimmernden Kulturindustrieproduktes. Brecht erscheint hier als Hausmarke des Berliner Ensemble. Auch dass Elina Schnizler in einer ironischen Geste kleine Aufnäher mit der Signatur Brechts an die Kostüme genäht hat, hilft wenig, um den Verdacht zu entschärfen, dass hier der große Ruf des armen B.B. für Kassenerfolge ausgenutzt werden soll.

Eine vergebene Chance für die Inszenierung, eine vielversprechende Chance für das Berliner Ensemble. Offensichtlich stillt diese Inszenierung einen großen Hunger, den zu verfolgen es sich lohnt.

Erschienen am 30.8.2023

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