Der Spielort im Berliner Norden ist bereits ein Volltreffer in Sachen Heimatkunde. Nebenan befinden sich das Landesarchiv und die Wehrmachtsauskunftsstelle in den Gebäuden einer ehemaligen Waffen- und Munitionsfabrik, dazwischen eine riesige Lagerhalle, von der aus dieselschwere Laster die Aldi-Supermärkte beliefern. Ein Theater würde man in diesem Ambiente nicht vermuten, nicht einmal temporär – und schon gar kein sogenanntes Nationaltheater. Und doch richteten hier ab Februar dieses Jahres Ida Müller und Vegard Vinge mit einer größeren Gruppe von Mitstreitern ihr Theater ein, als Beitrag zum Programmschwerpunkt Immersion der Berliner Festspiele, die damit ihr internationales Festival Foreign Affairs ersetzt haben. Wer dachte, dass man in Berlin mit weit entlegenen S-Bahn-Werkstätten und Busreparaturhallen oder Flughafenbrachen schon das Maximum der seltsamen Theaterspielorte erreicht hätte, durfte staunen. Am Eichborndamm wähnte man sich sofort in einer kulturfernen Grauzone des Übergangs in eine andere Welt.
Das Vinge-Müller-Theater hatte sich im Frühjahr 2011 im Prater der Volksbühne eingerichtet, zunächst für Ibsens „Wildente“, die man gleichsam von draußen wie im Diorama über die Länge von zwei Wochen erleben konnte (mit kleinen Ruhezeiten). Das war noch ein Geheimtipp und auch auf ein Zufallspublikum in der Kastanienallee gerichtet – ganz ohne die bei Theaterproduktionen üblichen Vermittlungsanstrengungen. Ein halbes Jahr später kam...