Auftritt
Theater an der Parkaue Berlin: Coming OUT/OF Age
„Beautiful Thing“ von Jonathan Harvey – Inszenierung Babett Grube, Bühne Camille Lacadee, Kostüme Andrea Barba
Assoziationen: Kinder- & Jugendtheater Theaterkritiken Berlin Babett Grube Theater an der Parkaue

Popmusik und Putzutensilien aus Plastik: Kämme, Staubwedel, Klobürsten, Zahnbürsten – die dem jungen Publikum, heute vor allem Schulklassen, ausgeteilt werden. Die Darstellenden sind in bunten 90er-Jahre Outfits gekleidet; die Drehbühne zeigt drei Orte: Eine hellblaue Platte, Jamies Zimmer und eine Bar mit glitzerndem CD-Vorhang und weißen Bistrostühlen aus Plastik. Poppige Musik von der amerikanischen Sängerin Mama Cass, eigentlich Cass Elliot, leitet durch Jonathan Harveys Stück „Beautiful Thing“, das ursprünglich im 90er Jahre London spielt, in der Parkaue aber in das gegenwärtige Berlin geholt wird.
Der Plattenbau: Jamie (Yazan Melhem), Ste (Salome Kießling) und Leah (Claudia Korneev) sind Nachbar:innen. Jamie wird in der Schule gemobbt – schwänzt deshalb den Unterricht, meistens Sport. Ste ist zuhause seinem gewalttätigen Vater und großen Bruder ausgesetzt. Leah ist von der Schule geflogen, nimmt Drogen und hört Mama Cass mit ihrem roten CD-Spieler und Megafon, damit die Musik durch die gesamte Siedlung (Publikum) hallt. Jamie und Ste verlieben sich. Sie zeigen uns, was es heißt, jung, queer und verliebt zu sein.
Trotz des Titels von „Beautiful Thing“ war das Leben für queere Menschen in den frühen 1990er Jahren nicht nur Beautiful. Harvey schrieb die Liebeskomödie im Nachleben der AIDS-Krise und als Gegenentwurf zu den Geschichten, die vom Schmerz der queeren Community in dieser Zeit erzählen. Der Text geht allerdings doch tiefer. Er verspricht neben der queeren Coming-Out und of-Age-Story auch eine Auseinandersetzung mit Care-Arbeit, Drogenkonsum, häuslicher und queerfeindlicher Gewalt und Klassenzugehörigkeit.
Zum Beispiel anhand von Jamies alleinerziehender Mutter Sandra. Sie betreibt die CD-Vorhang-Bar, hofft aber eigentlich, eines Tages ihre eigene Kneipe zu führen, damit sie und Jamie dem Leben in der Platte und den Lebensbedingungen dort entkommen können. Trotz der ernsten Themen wirkt das Stück leicht, die Dialoge sind zugänglich, es werden Witze gemacht und von poppiger Musik begleitet, die dynamisch die Szenen überleitet.
Die Albernheit auf der Bühne wird sich dann allerdings selbst zum Verhängnis, wenn intime und ernsthafte Gespräche in der Komik untergehen, verwaschen und aufgesagt wirken. Der Kampf für ein besseres Leben der Arbeiterklasse, die Queerfeindliche Gewalt, die Ste und Jamie erfahren, Jamies Coming-Out gegenüber seiner Mutter und die Struggles von Sandra als Alleinerziehende Mutter werden nur angedeutet und dann überspielt.
Dafür bekommt Queeres Verliebtsein durch viel Rumgeknutsche (auch im Publikum) eine Bühne. Jamie und Ste sitzen ganz oben auf der Drehbühne – der Plattensiedlung. Wie auf den Dächern Berlins bei Nacht, voll von verliebter Euphorie küssen sie sich im leuchtenden Nebel. Sie sind mit einer großen, monochrom-blauen Decke zugedeckt, die ihnen – zumindest optische – Flügel verleiht. Gemeinsam verwandeln sie sich in einen Schmetterling. Das Programmheft spricht von Metamorphose: „Für einen Moment ist da weder Raupe noch Schmetterling. Für einen Moment existiert eine Flüssigkeit, eine Möglichkeit“. Dieses utopische Bild der Fluidität, dem Ausbrechen aus der Heteronormativität als Metamorphose, als Akt der Rebellion transportiert sich leider nicht auf die Bühne. Das aufregende Gefühl des ersten Verliebtseins, der revolutionären Kraft in der Zärtlichkeit und Intimität der beiden Jugendlichen, wirken performt, die Dialoge nicht ehrlich genug.
Die überladenen Szenen, die die Komik des Abends transportieren, funktionieren dafür: Die Darstellenden sonnen sich mithilfe von Spiegeln im Scheinwerferlicht, schmieren sich dick mit Sonnencreme ein, trinken Bier. Leah als rebellische Teenagerin bringt das junge Publikum immer wieder zum lachen, klettert mit grell-pinkem Tütü, riesigen rosa Duschschwamm auf dem Kopf, Sonnenbrille und Mikro über die Tribüne, rennt auf die Bühne und bietet eine Performance von Mama Cass „Make Your Own Kind of Music“, der sich die anderen Darstellenden in albern-anmutenden Putzmittel-Kostümen (Flipflop-Kleid, Putzmittelanzug und Duschvorhang-Umhang) anschließen. Das Publikum stimmt begeistert mit ein und wedelt dabei, die am Anfang ausgeteilten Putzutensilien im Takt hin und her.
Der Song von Mama Cass Elliot ist die emanzipatorische Message von „Beautiful Thing“: „You gotta make your own kind of music. Sing your own special song. Make your own kind of music. Even if nobody else sings along.“ Während Tony, Sandras Freund, im Hintergrund mit einem Strauß Blumen winkt, umarmen sich Ste und Jamie innig. „Beautiful Thing“ ist also eine witzige Liebesstory, die Spaß beim Zuschauen macht. Schade, dass die Chance verspielt wurde Klassenkonflikte und Kämpfe beim Coming Out aus heteronormativen Normen mehr als nur anzureißen. Dass sich die Jugendlichen trotzdem mit diesen Themen auseinander setzen, hat die Ausstellung der Premierenklasse (Künstlerische Vermittlung: Soraya Reichl) des Dathe-Gymnasiums gezeigt, das im Poster-Format Themen zu Queerness in Gesellschaft und Schule beleuchtet und für alle anzuschauen ist.
Erschienen am 26.5.2023