Auftritt
TD Berlin: Beckett von Frau befragt
„Das letzte Wort“ von Beckett und Handke („Das letzte Band“ von Samuel Beckett, „Bis daß der Tag euch scheidet“ von Peter Handke) – Regie Lea Barletti, Werner Waas, Bühne Ivan Bazak, Sound-Design/Live-Musik Luca Canciello
von Thomas Irmer
Assoziationen: Europa Theaterkritiken TD Berlin
Am Ende, das ist durchaus mehrdeutig und nicht nur die Abfolge des Doppelmonologs, hat die Frau das letzte Wort. Peter Handkes 2008 an der Comédie de Valence uraufgeführtes Gegen- oder Korrespondenzstück zu Becketts damals genau 50 Jahre altem „Das letzte Band“ ist eine Theaterseltenheit. Jossi Wieler inszenierte das Doppel nachfolgend bei den Salzburger Festspielen mit Nina Kunzendorf und André Jung. Während Becketts Krapp immer mehr zur Paraderolle für den männlichen Altstar wurde (auf frühere Großschauspieler wie Martin Held, Bernhard Minetti, Klaus Maria Brandauer folgten Otto Sander, Josef Bierbichler bis hin zu Robert Wilson), blieb Handkes weibliche Replik weitgehend unerforscht und praktisch ungespielt.
Nun hat sich das deutsch-italienische Theaterduo Barletti/Waas an das Doppel gewagt. Werner Waas sitzt in einem zur Schale versteiften grau-schmuddeligen Anzug auf einem Stuhl und isst die erste Banane. Kein Tonband, kein Schreibtisch, kein Ausrutschen auf der Bananenschale. Alles kommt aus dem Sprechen der Regieanweisungen vor einem grauen, ein kleines Geviert umschließenden Vorhang. Der eigentliche Redetext der Figur ist spärlich und vieles davon sind Erinnerungen, die sich Krapp von seinen Tagebuchtonbändern als seiner zweiten Stimme anhört. Das häufigste Wort in den Regieanweisungen ist „Pause“. Waas stehen für diese Anlage nur die Modulation seiner Stimme und der minimal pantomimische Ausdruck seiner Hände zur Verfügung – aber es gelingt! Für die im Stück vorgeschriebenen Gänge Krapps in den Hintergrund zum Whisky-Trinken zählt er die vergehenden Sekunden mit den Fingern ab. Dieser reduzierteste und dabei ungewöhnlichste Krapp fasziniert auf seinem kleinen Stuhlthron bis zum letzten Moment, in dem nur der hohle graue Anzug bleibt, aus dem Waas verschwindet.
Dann fällt mit einem Knalleffekt der graue Vorhang und sichtbar wird ein weiter Raum mit einer Tribüne leerer Stühle. Darin Lea Barletti, Handmikro, dunkelblaue Bluse zu eleganter Hose, in extra melodiös artikuliertem Italienisch: Mein Spiel jetzt. Adesso! Luca Canciello sitzt rechts daneben für auf den Textrhythmus live eingespielte dissonante Sounds, die Barlettis erstmal so scheinende Attacke auf Krapps übrig gebliebene Anzugattrappe begleiten. Es geht dabei aber um anderes.
Handkes Figur ist nämlich nicht diejenige, der Krapp in seinen Tonband-Erinnerungen an eine geliebte Frau, damals im Boot im Schilf, selbstverzagt nachtrauert. Es ist eher eine reale Theaterperson oder Schauspielerin, die auf das ganze Beckett-Krapp-Thema eines verlorenen und erfolglosen Schriftstellers mit ausgeprägt weiblicher Vitalität auf dessen Verfasstheit eines nachher berühmten Außenseiters reagiert. Mit ihrer eigenen Lust an der Sprache, wo Krapp sich nur an einzelnen Wörtern wie „Spuuuule“ wie an seinen Bananen festsaugt. Und genau das macht Barletti in ihrer Muttersprache und gibt somit der ganzen Inszenierung in ihrer zweisprachigen Anlage (mit den jeweils benötigten Untertiteln) große Kraft. Barletti schaut dabei genauso strahlend wie fragend ins Publikum. „Etwas wie eine Replik von mir hast du nie erwartet. Ja, nicht einmal ein Echo. Nicht einmal einen Hall. Du der Hall, und ich der Nachhall.“ Als Fragezeichen auch an die Altstar-Paraderollen-Tradition im deutschen Theater.
Barletti/Waas, die mit „Das letzte Wort“ bereits ihre fünfte Inszenierung eines Handke-Stücks zeigen, ist damit die schönste, weil in der hier besonders wirkenden Zweisprachigkeit auch ihre beziehungsreichste gelungen. In Deutschland wird sie demnächst in Landshut zu sehen sein, in Italien in Genua und Pescara.
Erschienen am 29.10.2024