Les lois de la pesanteur
Auftrittsformen in Glucks Pariser Opern
von Annette Kappeler
Erschienen in: Recherchen 115: Auftreten – Wege auf die Bühne (11/2014)
Assoziationen: Wissenschaft Musiktheater
Prolog
Das höfische Leben des Ancien Régime ist auf wirkungsvolle Formen des Erscheinens ausgerichtet. Die Bewegungserziehung des Adels verwendet einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Energie auf die Lehre des angemessenen Eintretens.217 Machthaber präsentieren sich im Rahmen von entrées in geographische, architektonische und soziale Räume. Im Akt des Eintretens lenken sie nicht nur die Blicke der Anwesenden auf sich, sondern ordnen diese durch ein detailliert vorgegebenes Protokoll um sich an, das sich an astronomischen Vorstellungen orientiert. Der Akt des machtvollen Auftretens wird nicht nur im Vorhinein in genauen Protokollen vor-, sondern auch im Nachhinein in unzähligen Festberichten bis ins kleinste Detail festgeschrieben.218 Die Choreographie der entrée entwirft eine soziale Ordnung, bei der jede noch so kleine Bewegung Bedeutung hat. Die entrée ist dabei Geste der Unterwerfung, sie bedeutet eine Machtübernahme über geographische und soziale Räume.219 Das Hofzeremoniell des Ancien Régime gestaltet eine maximale Sichtbarkeit der Herrschenden, die sich im Moment des Eintretens in besonderer Deutlichkeit offenbart. Die zeremonielle Ordnung der entrée birgt dabei von Beginn an auch die Gefahr des scheiternden Auftritts. Durch kleinste Abweichungen vom Protokoll können soziopolitische Ordnungen ins Wanken geraten.
Theatrale Bewegungsformen des französischen Hofes orientieren sich dabei stark an dessen zeremonieller (Zeichen-)Ordnung. Auftritte in...