Peter Schneider, wie Ihre Kollegin Julischka Eichel haben auch Sie in einem Brandbrief auf die schwierige Lage freischaffender Schauspieler aufmerksam gemacht. Warum ist sie so besonders kompliziert?
Weil wir sozialversicherungsrechtlich zwischen zwei Welten schweben. Ein Großteil der freischaffenden Schauspieler ist nicht soloselbstständig, sondern immer nur kurzfristig beziehungsweise unständig bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt. Dadurch können wir uns in den seltensten Fällen einen Anspruch auf ALG1 erarbeiten, denn dafür müsste man auf 360 versicherte Tage innerhalb von zwei Jahren kommen. Und das schafft kaum jemand, der als Gast am Theater arbeitet. Selbst wenn man beispielsweise mit 80 versicherten Tagen im Jahr verhältnismäßig viel dreht, wäre man 280 Tage lang nicht versichert. In diesen Zwischenzeiten haben wir in der Krankenversicherung die gleichen Kosten wie ein selbstständiger Handwerker zu tragen, aber in der Regel kein Einkommen. In die Renten- und Arbeitslosenversicherung wird in dieser Zeit meist gar nichts eingezahlt.
In die Künstlersozialkasse kommen Sie nicht?
Nein, das wäre das System, das für uns zuständig wäre, wenn wir selbstständig agieren und Rechnungen schreiben dürften. Wir wären dann das ganze Jahr durchversichert, und unsere Zahlungen plus die staatlichen Zahlungen der „Arbeitgeberanteile“ würden auch die Lücken in der Rentenversicherung schließen, die dazu führen, dass man als freischaffender Schauspieler oft noch nicht mal einen Anspruch auf die Mindestrente erwirbt.
Sie sagten, einem Großteil der freien Schauspieler gehe es so. Gibt es Ausnahmen?
In den freien Gruppen gibt es oft Rechnungssteller, oder es werden projektgebundene GbRs gegründet, aus denen heraus einzelne Mitglieder selbstständig agieren dürfen und dadurch auch in die KSK kommen.
Was müsste sich für all die anderen konkret ändern?
Wir müssten uns ein Wahlrecht erkämpfen, das etwa Musiker und Regisseure schon haben. Sie können entscheiden, ob sie die Sicherheit einer Anstellung vorziehen und dafür weisungsgebunden sind oder ob sie sich als Künstler sehen, die verschiedenen Auftraggebern gegenüber gestalterisch, terminlich und organisatorisch selbstständig agieren. Dann vereinbaren sie einen Werkvertrag. Julischka und ich prüfen gerade gemeinsam mit dem Ensemble-Netzwerk und einem Anwalt, ob es einen Weg gibt, dieser Ungleichbehandlung etwas entgegenzusetzen. Denn dieses Wahlrecht gibt es in fast allen künstlerischen Bereichen – außer im Schauspiel.
Warum ist das so?
Dem liegt meiner Meinung nach ein veraltetes Berufsbild zugrunde, das uns als ausführende und abhängige Dienstleister betrachtet. Ich jedoch gestalte meine Rollen mit und verkörpere sie als Künstler himself. Die Rechtsprechung sagt aber, wir sind nicht ourselves. Wenn Thomas Gottschalk Haribo-Werbung macht, dann ist er himself und kann eine Rechnung schreiben. Weil ich nicht so berühmt bin wie er, müsste ich für die gleiche Leistung angestellt werden.
Puh, das klingt absurd und schon gar nicht auf der Höhe aktueller Performance-Diskurse. Aber warum kommen diese Missstände gerade jetzt an die Oberfläche?
Ein System, das derart fragil ist, funktioniert unter Krisenbedingungen überhaupt nicht mehr. 80 bis 90 Prozent von uns Freien waren irgendwann mal mindestens zwölf Monate lang fest angestellt. Wenn man aus dieser Anstellung heraus direkt in die Selbstständigkeit gehen könnte, käme man in die KSK. Aber man könnte sich auch in der freiwilligen Arbeitslosenversicherung für Selbstständige weiter versichern und würde sich seinen Anspruch auf ALG1 erhalten. Das hätte in der Pandemie einigen Menschen geholfen, die derzeit auf Hartz IV verwiesen werden.
Aber nun gibt es ja laut einer Pressemitteilung vom 5. Februar ganz frische Überbrückungshilfen für genau diese Fälle.
Ja, die jetzt angekündigte Überbrückungshilfe 3 ist nach fast einem Jahr Pandemie die erste Maßnahme, in der die kurzfristig und unständig Beschäftigten den Soloselbstständigen gleichgestellt werden. Sie ersetzt 50 Prozent des Verlusts im Zeitraum Januar bis Juni 2021 gegenüber dem Vergleichszeitraum Januar bis Juni 2019. Um die maximale Summe von 7500 Euro für sechs Monate zu bekommen, muss ich im Vergleichszeitraum 2019 mindestens 15 000 Euro brutto verdient haben und jetzt von Januar bis Juni null Euro. Das muss natürlich noch umständlich überprüft werden.
Gäbe es da nicht einfachere Lösungen?
Man könnte es wie in Belgien machen und allen Betroffenen eine Art bedingungsloses Grundeinkommen für die Lebenshaltungskosten auszahlen. Die Soforthilfen könnten dann auf Nachweis direkt in die Betriebskosten fließen. Damit wären zum Beispiel auch Veranstaltungsagenturen gerettet, und billiger und schneller wäre es obendrein. //