Thema
Schauen wir noch oder handeln wir schon?
Wie die Theater sich zum anthropogenen Klimawandel ins Verhältnis setzen
Erschienen in: Theater der Zeit: Cordelia Wege – Schöpferisches Risiko (02/2020)
Vor sechs Jahren schrieb ich für Theater der Zeit zwei Artikel über meine Welt-Klima-Theater-Recherche-Reise (TdZ 01/2014 und 03/2014), auf der ich untersuchte, wie Theaterschaffende in Südostasien und Südamerika sich mit dem Klimawandel und seinen Folgen in ihren Produktionen auseinandersetzen. Bevor ich losfuhr, hieß es vielerorts, dass dies weltweit kein Thema für das Theater und zu untheatral sei, sowie einen rein eurozentristischen Blick beinhalte. Ich selbst durfte zuvor das von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Festival „ODYSSEE : KLIMA“ veranstalten, bei dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Theaterschaffenden während eines Klima-Parcours an verschiedenen Stationen der Stadt zusammenarbeiteten. Deutschlandweit war dieses Thema bis vor Kurzem fast ausschließlich im Kinder- und Jugendtheater verankert, einzelne Produktionen fanden sich auch im Abendspielplan an den Stadttheatern oder in der freien Szene. Während der Recherchereise zeigte sich hingegen, dass in jenen Ländern, in denen der Klimawandel existenzielle Auswirkungen auf das Leben der Menschen hat, dies das Hauptthema der Theaterproduktionen war. Diese „Klima“-Stücke basieren oft auf realen Konflikten, die mit Fiktivem künstlerisch verdichtet und dramatisiert werden, Autorinnen und Autoren aktualisieren zudem mythologische Geschichten auf Basis der veränderten Lebensbedingungen, zum Teil berichten Betroffene von ihrem Leben. Auch hier zeigte sich: Das Theater ist weltweit Verhandlungsort akuter Probleme einer Gesellschaft, erreicht die Menschen auf einer emotionalen, direkten Rezeptionsebene und kann als Indikator für die lokale Bedeutung von Themen wirken.
Neue Formen des Produzierens
Das Wissen um die Folgen des Klimawandels wird seit Jahrzehnten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vermittelt. Dank Initiativen wie Fridays for Future ist das Thema nun endlich auch hierzulande ins Zentrum der Wahrnehmung gerückt. Zu der Veranstaltung „Klima trifft Theater – von der Erzählbarkeit der Klimakrise“ in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin Ende Oktober 2019 kamen 250 Theaterschaffende, weitere schalteten sich online zu. Es ist nun zu erwarten, dass das Thema einen großen Raum in den Spielplänen 2020/21 einnehmen wird. Jedoch unterscheidet es sich essenziell von vielen anderen Themen. Die naheliegendste Frage ist dabei jene nach der Erzähl- und Darstellbarkeit auf der Bühne: Was wollen wir erzählen? Mit welchen Mitteln und welcher Ästhetik? Wen wollen wir erreichen? Was können wir konkret tun? Wie können wir ins Handeln kommen? Ein Problem scheint zu sein, dass der Klimawandel schwer zu (be-)greifen und zu beschreiben ist. Das Prinzip Ursache-Wirkung ist aufgrund der Komplexität und zeitlichen Verschiebung kaum darstellbar. Der Wunsch nach Verbildlichung, nach Konkretisierung des eigentlich Unfassbaren, bleibt. So sagten die Theaterschaffenden der philippinischen Theatergruppe Dagway Sigmahanon nach dem Taifun Haiyan im Jahr 2014, dass der Klimawandel nun für sie ein Gesicht habe und dies kein freundliches sei. Der Taifun wurde personalisiert und somit greifbar. Es gibt Autorinnen und Autoren, die Weltgeschichte beispielsweise anhand von (Familien-)Biografien erzählen und damit große Phänomene im Kleinen nahebringen. Dieses Großdenken fehlt zurzeit noch in den vorliegenden Theatertexten zum Thema. Ausnahmen wie Thomas Köck mit seiner „Klimatrilogie“ gibt es. Anja Hilling beschrieb bereits 2008 in ihrem Text „Nostalgie 2175“ eine (Um-)Welt, die für den Menschen unlebbar wurde. Wenn das Thema besprochen wird, sind es vielfach Dystopien. Auffällig oft werden Geschichten in fiktive, fast Science-Fiction-Realitäten verlegt und somit in eine weit entfernte Zukunft. Es bedarf, meiner Einschätzung nach, aber auch Utopien als positive Gegenentwürfe.
Das Thema Klimawandel reicht aber noch viel weiter, auch in die Strukturen des Theaters hinein. Denn ein Theater, das mit viel Energie (menschlicher und nicht-menschlicher) eine Produktion erarbeitet, bei der es thematisch auch um einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen geht, macht sich unglaubwürdig und führt die Arbeit der Produktionsbeteiligten ad absurdum. Genau wie bei den Themen Diversität/Gender-Gerechtigkeit müssen die auf der Bühne verhandelten Themen auch im Theaterbetrieb selbst gelebt werden. Bedenken muss man, dass nachhaltiges Produzieren ein erhöhtes Arbeitspensum hervorruft. Dies muss die lokale Politik unterstützen. Wie viel ist den Städten, die den Klimanotstand ausgerufen haben, die Reduktion von CO2-Ausstößen und ein nachhaltiges Arbeiten wert? Entweder muss die Anzahl der Produktionen reduziert oder die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhöht werden. Damit nicht jedes Theater die Welt neu erfinden muss, bedarf es best practices, also guter Vorbilder, die zum Beispiel in Form von Handbüchern verbreitet werden. Es bedarf einer Zusammenarbeit unter den Theaterschaffenden, jenseits des Konkurrenzgedankens. Die Recyclingkultur muss zudem an unseren Häusern gestärkt werden. Dies könnte auch einen Einfluss auf die Ästhetik haben.
Diese Veränderungen wären gleichsam eine Abkehr von kapitalistischen Grundsätzen wie „mehr und schneller“, hin zu einem Theater als Ort, an dem sich in Ruhe mit Themen auseinandergesetzt werden kann. Die Menschen haben verstärkt das Bedürfnis nach Kontakt mit sich selbst und mit anderen. Das Theater besitzt das Potenzial, Ort der intensiven Beschäftigung mit gesellschaftlich relevanten Themen und des Rituellen zu sein. Beim Jahrestreffen des Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes in Halle an der Saale stand das Thema Nachhaltigkeit im Theater im Fokus. Eine Teilnehmerin brachte den Vorschlag ein, ähnlich wie beim 360°-Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft einen Fonds für Klimamitarbeiterinnen und -mitarbeiter an Theatern aufzubauen.
Die (internationale) Zusammenarbeit von Künstlerinnen und Künstlern sollte ebenfalls diskutiert werden. Es wäre grundsätzlich und besonders zurzeit fatal, den internationalen Austausch zu stoppen. Vor allem für Theaterschaffende in Ländern, die dort keine Möglichkeiten oder finanziellen Ressourcen für einen Austausch haben. Bietet dies doch die Grundlage für ein gegenseitiges Verständnis und neue Impulse. Nicht nur für die Theaterschaffenden, sondern auch für das Publikum. Überdacht werden muss jedoch die Jetset-Kultur. Es geht darum, Privilegien aufzugeben und die Frage zu stellen: Wer darf wann reisen und warum? Und wer entscheidet?
Visualisierungen – aber keine Symbolpolitik
Ich werde immer wieder Folgendes gefragt: Was will man mit dem Thema im Theater erreichen? Politisch aufrütteln? Durch Informationen und Vermittlung von Wissenschaft? Oder emotionalisieren? Mit Geschichten von Menschen, die betroffen sind? Oder beides? Und ich stelle die Gegenfrage: Was wollen wir denn generell mit unserer Theaterarbeit erreichen? Ich gehe davon aus, dass die meisten Theaterschaffenden von der Möglichkeit der positiven Einflussnahme auf gesellschaftliche Prozesse überzeugt sind. Und genau dies wünsche ich mir auch für das Thema Klima. Weiterführende Fragen können dann sein: Was sollen die Zuschauerinnen und Zuschauer erleben und/oder sinnlich wahrnehmen? Wie baut man Atmosphären auf? Wie können wir das Thema ins Theater holen und konkret unseren eigenen ökologischen Fußabdruck verkleinern? Sie betreffen wie erwähnt die eigene Theaterarbeit. Es ist ein Prozess, in dem sowohl die Haustechnik, die Kantine, die Theaterleitung als auch die Politik involviert werden müssen. Die Gefahr besteht, dass viele nicht in die Tiefe des Themas eintauchen. Denn es ist keines, welches man in ein bis zwei Produktionen erarbeiten und dann abhaken kann. Ich beschäftige mich seit 2011 mit dem Thema, und die Dimensionen sind immens und werden immer größer.
Während ich diesen Text schreibe, steht Jakarta unter Wasser, und in Australien breiten sich die Buschbrände immer weiter aus. Die Welt ist geschockt von Bildern wie dem Babykänguru, das, eingeklemmt in einen Zaun, verbrannt ist. Das Foto löst Empathie aus. Birgit Schneider vom Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam arbeitet zum Thema Visualisierung des Klimas und seiner Wandlungen. Wir arbeiten im Theater ebenfalls im Symbolhaften. Der Wunsch nach Austausch zwischen Wissenschaft und Theater ist gegeben, nicht ein-, sondern beidseitig. So bringen wir dieses Thema nicht „nur“ auf die Bühne und erreichen unser Publikum, sondern das Theater kann seine Möglichkeiten und seine Bedeutung auch in wissenschaftlichen und politischen Kontexten wirken lassen.
Und: Diese Institutionen kommen auch auf uns zu. So wurde ich von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit beauftragt, für ein Treffen der Vertreterinnen und Vertreter von Regierungen, Unternehmen sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen der Staaten, die in Paris das Klimaabkommen unterschrieben haben, ein Theaterprogramm zu erarbeiten. Im Juni 2019 waren in Berlin 350 Personen mit komplett unterschiedlicher Theatersozialisation versammelt, um maßgebliche globale klimapolitische Entscheidungen zu treffen. Ich entschied mich für ein Team von sechs Künstlerinnen aus vier Ländern, die in Berlin beheimatet sind oder aufgrund anderer Projekte zufällig vor Ort waren. Wir arbeiteten mit Texten von internationalen Autorinnen zu den Themen Gender, Leadership, Youth and Climate Change. Nachhaltigkeit war uns sehr wichtig, so liehen wir uns die Kostüme von einem in Berlin beheimateten, nachhaltigen Label, das Bühnenbild bestand aus Live-Collagen, die auf die vorhandenen Leinwände projiziert wurden. Shanar Tabrizi, Knowledge Managerin und Spezialistin vom UNFCCC Climate Technology Centre and Network der UN City in Kopenhagen schrieb: „Ich erinnere mich sehr gern an das Klima-Pop-up-Theater. Nach einem Konferenztag, an dem alle damit beschäftigt waren, über technische Details zur Lösung der Klimakrise zu diskutieren, war es wie ein frischer Luftzug, an die Menschlichkeit erinnert zu werden, die dahinter steckt.“
Ende Januar dieses Jahres traf sich zum ersten Mal die neu ans Hans Otto Theater in Potsdam angegliederte offene Arbeitsgruppe „Klimawandel und Theater“. Zusammen möchten hier Theaterschaffende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Aktivistinnen und Aktivisten, Bürgerinnen und Bürger neue Formen der Vermittlung, der Ästhetik und der Solidarität ergründen und diese Suche im Sinne des Open-Knowledge-Gedankens öffnen. Es gibt keine How-to-do-Lösungen, die sich viele wünschen. Dies ist ein aktiver Prozess, bei dem sich alle beteiligen können und sollten. Es ist natürlich nicht möglich, die gesamten Strukturen von heute auf morgen zu verändern. Aber wir sind der Generation „Greta“ schuldig, ihre Wut, Angst und ihr Engagement ernst zu nehmen und ihnen gegenüber und allen noch nicht Geborenen Verantwortung zu übernehmen. //