Stück
Die Geister der Vergangenheit
Der Historiker Volker Weiß und der Autor Ralph Hammerthaler im Gespräch über das Stück „Zweikampf“, die Neue Rechte und Botho Strauß als Kultfigur in reaktionären Kreisen
von Ralph Hammerthaler und Volker Weiß
Erschienen in: Theater der Zeit: Wovon lebt der Mensch? – Wolfgang Engler und Klaus Lederer (02/2018)
Assoziationen: Dramatik
Ralph Hammerthaler: Volker Weiß, in „Zweikampf“ gibt es eine Reihe von Einwürfen, Stimmen, die von außen gleichsam in das Stück gerufen werden. Auch Ihre Stimme ist dabei, ein Zitat aus Ihrem Buch „Die autoritäre Revolte“. Darin verweisen Sie auf eine Art von Wesensverwandtschaft zwischen Rechtsradikalen und Islamisten, vor allem in der gemeinsamen Gegnerschaft zur liberalen Demokratie westlicher Prägung. Glauben Sie, dass der Neuen Rechten diese Verwandtschaft bewusst ist? In der Öffentlichkeit scheint sie ja eher gegen den Islam Stellung zu beziehen.
Volker Weiß: In diesem Milieu weiß man recht gut zwischen Binnen- und Außenkommunikation zu unterscheiden. Man hat verstanden, dass die antiislamische Agitation massenwirksam ist, zumal ihre Gegner auf diesem Feld zu viele Widersprüche und damit offene Flanken bieten. Aber nach innen ist längst geklärt, dass der Islam nur ein nachgeordneter Gegner ist. Selbst Björn Höcke hat schon verkündet, sein Feind sei nicht der Islam, sondern die westliche Dekadenz. In diesem Sinne gilt die angebliche Islamisierung nur als Symptom, als Ausdruck der Schwäche des „Eigenen“ in Folge von 1968 und 1945. Die Ablehnung gilt eigentlich mehr der Migration, der Präsenz von Fremden, als dem Islam. Eine grundsätzliche Ablehnung der islamischen Religion ist zumindest unter den Kadern gar nicht so weit verbreitet. Man hat auch erkannt, dass der islamische Konservatismus mit seinen autoritären Rollenmustern eher eine Entsprechung der eigenen Weltanschauung bietet. Es ist eher eine Hassliebe: Die haben noch das, was man selbst als Verlust beklagt.
Hammerthaler: In der Zeit, da Sie Ihr Buch schrieben, schrieb ich Briefe an einen alten Freund aus der Schulzeit, ganz klassisch, Papier falten, in den Umschlag stecken, Briefmarke drauf. Wir versuchten zu verstehen, was gerade vor sich ging, atmosphärisch, gesellschaftlich, politisch. Mehr und mehr gewann ich den Eindruck, dass dieser Freund seine Argumente aus dem rechten Spektrum bezog, er also nicht mehr der war, den ich von früher kannte. Das war der erste Impuls für „Zweikampf“. Hinzu kam, dass ich eine Reportage las über eine Arbeiterkneipe in Essen. Dort hat sich neben einem SPD-Stammtisch ein AfD-Stammtisch etabliert. Die einen ignorieren die anderen. Der Wortführer der AfD war früher Sozialdemokrat und dem Wortführer der SPD freundschaftlich verbunden. Eine perfekte theatralische Situation. Gab es auch für Sie eine Urszene, die Sie zum Schreiben veranlasst hat?
Weiß: Dann weiß ich jetzt, warum Ihr Stück in einem proletarischen Milieu angesiedelt ist, was allerdings das gegenwärtige Szenario nur bedingt abbildet. Ein Guido Reil ist nicht unbedingt repräsentativ für die AfD oder gar die Neue Rechte. Aber zur Frage: Eine entsprechende „Urszene“ gab es für mich nicht. Ich war mit der Neuen Rechten bereits seit circa 15 Jahren wissenschaftlich befasst. Es gab aber doch zwei Schlüsselereignisse: zunächst die Sarrazin-Debatte und dann den Auftritt neurechter Protagonisten in Dresden. Sarrazin und Pegida waren die Elemente, in denen sich der heutige Erfolg der AfD ankündigte.
Hammerthaler: Gut, erweitern wir das Feld. Im Stück gibt es einen jungen Aktivisten namens Wolf. Mit Blick auf die nationalbolschewistische Bewegung in Russland nenne ich ihn einen Nazipunk. Hierzulande wird man ihn als Identitären identifizieren. Durch die Identitären ist – das, glaube ich, müssen wir zugeben – ein gewisser Coolness-Faktor ins Spiel gekommen. Geschöpft wird aus dem linken Protestreservoir. Sie aber sehen die Aktionen auch in einer rechten Tradition. Darüber ist nicht so viel bekannt.
Weiß: Der Wolf im Stück ist der klassische „Kümmerer“. Diese Figur ist von rechts gerade sehr beliebt. Da werden auch mal medienwirksam ein paar Schlafsäcke an – natürlich nur deutsche – Obdachlose verteilt. Und russischer Nazipunk ist ein gutes Stichwort. Ich persönlich glaube ja, dass der tatsächlich progressive oder gar revolutionäre Gehalt von Subkulturen, von dem drei Generationen Popjournalisten ihre Daseinsberechtigung abgeleitet haben, wenn überhaupt an einen ziemlich engen Zeitkern gebunden ist. Doch politische Bewegungen sind gezwungen, sich zeitgemäßer Formen zu bedienen, wenn sie Erfolg haben wollen. Daher fand ich die Identitären weniger spektakulär. Die Formen waren alles andere als neu. Kurz zuvor gab es noch Nazi-Flashmobs zu osteuropäischem Hardbass. Die Verwendung subkultureller Formen sagt erst einmal sehr wenig. Man hat auf diesem Feld doch schon alles Mögliche gesehen, vom Nazipunk über Fascho-Esoteriker bis zum rechten Rocker. Was die Identitären heute treiben, hat wenige Jahre zuvor noch ein trauriger Haufen namens Konservativ-subversive Aktion versucht. Die Identitären sind nur systematischer in ihrer Analyse der medialen Mechanismen und bedienen den Zeitgeist. Das erklärt auch die Aufmerksamkeit, die ihnen zuteilwird. Sie kennen das Einmaleins der Medienguerilla gut und haben von linken Aktionsformen gelernt. Zudem gab es das Konzept der Provokation öffentlicher Aufmerksamkeit von rechts bereits in den Zwanzigern. Der Faschismus ist nun mal ein Produkt der Moderne und funktioniert daher nach ihren ästhetischen Regeln. Sein Selbstbild ist von Jugend und Dynamik geprägt, da war und ist die Adaption entsprechender Formen zwingend. Allerdings ist vieles auch Inszenierung. Die österreichischen Identitären etwa, die in Deutschland ziemlich Einfluss haben, werden eher vom Typ Jura-Student mit Burschenschaftsmitgliedschaft dominiert. Denen kaufe ich weder den Revolutionär noch den Fürsorger ab.
Hammerthaler: „Das einzige, was man braucht“, hat Botho Strauß im „Anschwellenden Bocksgesang“ geschrieben, „ist der Mut zur Sezession, zur Abkehr vom Mainstream.“ Für sich genommen, ist das kein schlechter Satz. Wer will schon Mainstream sein. „Sezession“ wurde dann als Titel für eine neurechte Zeitschrift aufgegriffen, die Götz Kubitschek und sein Institut für Staatspolitik herausbringen. Kubitschek soll ja auch die Identitären finanziell unterstützen. In Ihrer Analyse erblicken Sie ein „jungkonservatives Kartell“. Wer gehört dazu? Wer gibt den Ton an?
Weiß: Ja, Botho Strauß gilt unter den Belesenen der Szene als ästhetischer Impulsgeber. Das war schon in den Neunzigern so, als der „Bocksgesang“ regelrechten Kultstatus erlangte. Und im Begriff der Sezession schillert natürlich einige Kunstgeschichte. Das passt gut zu einem Milieu, das sich vor allem über die eigene „Haltung“ definiert. Man pflegt das Image des Jünger’schen Waldgängers, eine „zupackende“ Sprache und die Distinktion durch das Unzeitgemäße – denken Sie an das affektierte „Siezen“ zwischen den Eheleuten auf Schnellroda, sobald die Medien auftauchen. Als Aufmerksamkeitsstrategie war das durchaus erfolgreich. Autoren, die aus dem Popjournalismus kommen, fahren voll auf so eine Authentizitätsinszenierung ab und reproduzieren diesen ganzen Gärtnerund Hirtenschmonzes. Ursprünglich waren das neben der Sezession und dem Institut für Staatspolitik noch die Zeitschriften Junge Freiheit und Blaue Narzisse. Heute hat sich mit den Identitären, Compact und einprozent das Milieu vergrößert, diversifiziert und auch radikalisiert. Eine Zeitschrift wie Tumult ist dazugekommen, die einmal einen ganz anderen Hintergrund hatte. Ihre Gründer zählten einst zu den Statthaltern Foucaults in Deutschland. Pegida und das Internet haben einen immensen Resonanzraum geschaffen. Die AfD bündelt das Ganze parlamentarisch. Und dann gibt es Brücken zum marktradikalen rechten Lager wie eigentümlich frei, Tichys Einblick und solche Sachen. Die Junge Freiheit ist eng an der AfD orientiert, und Kubitscheks Einfluss als Netzwerker im Hintergrund ist nicht zu unterschätzen.
Hammerthaler: Ja, Tumult hat sich gehäutet. Offenbar gelangt der politische Mensch ganz einfach, ohne den langen Weg durch die Mitte zu nehmen, von links nach rechts. Mussolini war, ehe er später dann der Duce wurde, Chefredakteur der sozialistischen Zeitung Avanti!. Ein Redakteur von Theater der Zeit kam zu der pointierten Deutung, dass meine Figuren Anton und Georg, der Linke und der Rechte, ein und dieselbe Person sein könnten. Das kann einem unheimlich vorkommen. Oder aber, wie in „Zweikampf“, komödiantisch. Man kann auch darüber lachen.
Weiß: Es gibt tatsächlich eine ganze Reihe von Konvertiten: Günter Maschke, Horst Mahler, Bernd Rabehl, einzelne Redakteure der Jungen Freiheit etc. In diesem Sinne wären Anton und Georg ein und dieselbe Person in verschiedenen Lebensphasen, erst als junger Revolutionär, dann als alter Reaktionär. Schließlich ist die heutige Gesellschaft derart von 1968 geprägt, dass auch die autoritäre Revolte unserer Tage als ein dialektisches Produkt der APO-Generation gelesen werden kann. Zumindest der unangemessene NS-Vergleich, lange eine Domäne der Linken, ist nahtlos übernommen worden, und in einer Figur wie Jürgen Elsässer steigert sich die Komödie zur Groteske. Leider ist aber die Zeit der Ironie vorbei. Der Albdruck der Vergangenheit plagt die Lebenden, wie schon Marx beschrieben hat: „Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf.“ //