Fabel-Haft
Erschienen in: Recherchen 12: Das Politische Schreiben – Essays zu Theatertexten (10/2012)
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Zwei miteinander kommunizierende Perspektiven sind verlangt, wenn man heute vom Theatertheoretiker Brecht, der mittlerweile oft skeptischer beurteilt wird als der Dichter Brecht, ein Bild gewinnen will. Die eine wird eröffnet durch eine neue Lektüre des Konzepts episches Theater. Die andere ist der Blick auf seine Theorien im Lichte der Entwicklung des Gegenwartstheaters seit Brecht. Dieses hat eine Reihe von Formen hervorgebracht, die man post-brechtisch nennen kann, in denen aber das Erbe Brechts nicht in seiner Ganzheit, sondern gleichsam zerlegt in seine Einzelteile erscheint. Es ist, als ob die neuere Theatergeschichte sich die Materialwert-These B rechts zu Herzen genommen hätte und seine Ideen in der Art und Weise verarbeitet, wie er selbst es in den 20er Jahren für die Klassiker vorschlug: nämlich wie ein gebrauchtes Auto, das man nunmehr nach seinem Materialwert schätzt. Teile seiner Theorie und Praxis werden im neuen Theater den ursprünglichen Zusammenhängen entfremdet, mit anderem Sinn versehen und zu neuen Zwecken verwendet, wie Brecht selbst es mit Klassikern zu halten liebte. Er wehrte sich damals dagegen,
»daß eine gewisse schädliche Ehrfurcht, eine rücksichtslose und brutale Pietät das Publikum hindert, sich den Materialwert seiner [das ist Hebbels] doch nun schon einmal gemachten Arbeiten zunutze zu machen. Das Stück...