Theater der Zeit

Auftritt

Staatsschauspiel Dresden: Ups, schon wieder Täter-Opfer-Umkehr

„You came, you saw – Ein No Escape Room“ von Ayşe Güvendiren – Regie Ayşe Güvendiren, Bühne Theresa Scheitzenhammer, Kostüme Melina Poppe, Musik und Sounddesign Torsten Knoll, Video Cana Bilir-Meier, Tizian Stromp Zargari

von Lara Wenzel

Assoziationen: Theaterkritiken Sachsen Ayşe Güvendiren Staatsschauspiel Dresden

Der Horror ist real und die Türen sind offen: „You came, you saw – Ein No Escape Room“ von Ayşe Güvendiren am Staatsschauspiel Dresden.
Der Horror ist real und die Türen sind offen: „You came, you saw – Ein No Escape Room“ von Ayşe Güvendiren am Staatsschauspiel Dresden.Foto: Sebastian Hoppe

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„Wo kommst du eigentlich her?“ Im schmalen Gang der Regionalbahn versucht sich ein Mann an Betrunkenen vorbeizudrücken. Ihre Körper versperren ihm den Weg. Erst muss er über seine Herkunft Auskunft geben, bestätigen, dass er ‚nicht von hier‘ ist. Ob er Kokain habe, weil er aus Mexiko kommt, lacht dann eine der Besoffenen. Nach dem schlechten Scherz darf er auf seinen Platz zurückkehren. Rassismus hat zwei Seiten, eine alltägliche und eine strukturelle, erklärte noch vor einer Stunde ein Überlebender eines rechten Anschlags im Theater. Die Situation im Zug wird zum ungeplanten Epilog der Inszenierung von Ayşe Güvendiren am Dresdner Staatsschauspiel. Über zwei Stunden konfrontiert sie das Publikum mit rechten Terrorakten und ihrer schleppenden Aufklärung. Jenseits des Theaters läuft der alltägliche Terror weiter.

In eindringlichen Zeugnissen von Angehörigen und Überlebenden verbindet sich das systematische Versagen von Polizei, Staatsanwaltschaften und Stadtverwaltungen zum strukturell rassistischen Gesamtbild. Einen Anschlag nach dem Anschlag, nennen das die Betroffenen vom Nagelbombenanschlag in der Keupstraße. Nach dem Attentat durch den NSU wurden die Überlebenden nicht aufgefangen. Im Gegenteil beginnt die Polizei gegen sie zu ermitteln, weil sie den Opfern kriminelle Hintergründe andichtet. Spuren in die extreme Rechte werden hingegen lange ignoriert.

Die absurden Blüten dieser Ignoranz verstärkt Güvendiren durch die experimentelle Form des Abends. Auf dem weiß gefliesten Bühnenbild von Theresa Scheitzenhammer leuchtet das Gesicht von Jigsaw. Die Horrorpuppe aus der „Saw“-Reihe führt durch den Abend. Mit ihren eindringlichen Augen versichert sie dem Publikum, anders als in den Splatter-Filmen, finden heute keine mörderischen Spielchen statt. Der Horror ist real und die Türen sind offen. Für die Zuschauenden gibt es die Wahl, ob sie sich der Gewalt aussetzen oder nicht, die Betroffenen stecken im „No Escape Room“, wie sich die Recherchearbeit „You came, you saw“ im Untertitel nennt.

Jeder Terrorakt und die Gewalt danach bekommt ein eigenes Bild, dass auf einem Podest nach vorn geschoben wird. In den klinisch weißen Landschaften treten deutsche Beamte auf. Einer liegt mit Schäferhund-Handtuch in der Badewanne umgeben von Solidaritätsbriefen, die nach dem Brandanschlag in Mölln 1992 an die Stadtverwaltung gingen. An die betroffenen Familien leitete sie niemand weiter. Während der wütende Bericht eines Überlebenden zu hören ist, blickt man in das Gesicht eines betroffenen Politikers, der sich um den Ruf Deutschlands in der Welt sorgt, nicht aber um die Hinterbliebenen.

Über die treffenden Karikaturen der deutschen Staatsdiener, die steif zu „Oops I did it again“ tanzen oder lieber eine Wahrsagerin kontaktieren als den (post-)migrantischen Zeug:innen eines Anschlags zu glauben, legen sich die Erinnerungen der Angehörigen. Persönliche Geschichten und Namen treffen auf ein gesichtsloses System, das grausam lächerliches Abziehbild bleibt. Im Nebeneinander der einzelnen Tableaus, die von Brandstiftungen in den 1990ern bis zum Anschlag in Hanau 2020 reichen, zeigt sich die Kontinuität rechter Gewalt. Zwischen den Zeugnissen blickt das Publikum auf eine rot wabernde Projektion und muss die Bilder nachwirken lassen.

„You came, you saw“ transportiert mehr als einen aufklärenden Abriss über rassistische Gewalt und ihren strukturellen Schutz. In der Spannung zwischen den bewegenden Tonspuren und grotesken Tableaus steckt die Wut darüber, dass hemdsärmelige rassistische Ermittler:innen und V-Männer mit fadenscheinigen Lügen einfach durchkommen. Die Strukturen stützen sich nicht nur selbst, sie setzen auch ihr eigenes Recht. Ihr Verdacht entscheidet, ob jemand als Opfer oder Täter gilt, wer Schutz und wer Misstrauen verdient. Die Angehörigen und Überlebenden brauchen diese Bühne nicht, um sich zu behaupten. Sie tun es bereits seit Jahren in starken, zivilen Netzwerken. Dieser Abend ist für alle, die sich von der Polizei beschützt fühlen.

Erschienen am 18.6.2025

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