Theater der Zeit

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Auftritt

Staatstheater Cottbus: „Am Ende haben wir nur das anzubieten, was wir verloren haben“

„Tesla, die Spree und der Kirschgarten“ von Fritz Kater (UA) – Regie Armin Petras, Bühne und Kostüme Patricia Talacko, Video-Regie und Live-Kamera Rafael Ossami Saidy, Musik Kelle

von Nathalie Eckstein

Assoziationen: Theaterkritiken Brandenburg Fritz Kater Armin Petras Staatstheater Cottbus

Eine Parabel des Verlusts, umgeschrieben auf die Natur in Brandenburg: „Tesla, die Spree und der Kirschgarten“ von Fritz Kater nach Motiven von Anton Tschechow am Staatstheater Cottbus.
Eine Parabel des Verlusts, umgeschrieben auf die Natur in Brandenburg: „Tesla, die Spree und der Kirschgarten“ von Fritz Kater nach Motiven von Anton Tschechow am Staatstheater Cottbus.Foto: Bernd Schönberger

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Knapp drei Stunden dauert die letzte Schauspielpremiere, die Armin Petras in Funktion als Ko-Leiter, Hausregisseur und Hausautor am Staatstheater Cottbus zur Premiere bringt. Die Fritz-Kater-Uraufführung in eigener Regie spielt mit Motiven des Tschechow’schen Kirschgarten, überträgt sie in ein Heute und pointiert sie.

In ein einstöckiges, aus drehbaren Bühnenelementen bestehendes (Bühne und Kostüme Patricia Talacko) Wohnzimmer mit großem Schrank und Bodenfließen in Ostästhetik kommt Ranewskaja (Susann Thiede) als Grande Dame zurück aus Paris. Eine Schauspielerin ohne Rollen. Ihre Tochter Charlotta (Ariadne Pabst) ist in der Überschreibung mit Lopachin (Ferdinand Lehmann) verpartnert, der in der nahegelegenen Tesla-Gigafabrik zu Geld gekommen ist. Statt Datschen soll auf dem Kirschgarten-Grundstück eine Glamping-Anlage errichtet werden – die russische Provinz liegt im Brandenburg des Heute.

Die jüngere Tochter Anja (Charlie Schülke – die sich hier in ihrer ersten Premiere als neues Ensemblemitglied vorstellt), schreit zunächst vor allem, gibt die Pubertäre. Aus der Befreiung der Bauern in Russland 1861, über die der in die Jahre gekommene Diener Firs bei Tschechow nie hinweggekommen ist, wird hier die Wende und Firs (Kai Börner) zu einem Relikt einer ebenso verlorenen Zeit in NVA-Hosen und Aluhut.

Sympathisch ist keine der Figuren, auch nicht Ranewskajas Bruder Michael (Gunnar Golkowski) oder der überzeichnete Dauerstudent Peter (in einer Doppelrolle ebenfalls Kai Börner), der sich als Teil des Protests „Gruppe Vulkan“ gegen die Extraktion von Tesla engagiert und in einer per Video projizierten Performance (Video-Regie und Live-Kamera Rafael Ossami Saidy) als Jesus inszeniert. Er sei nur so radikal, weil er noch nichts erlebt habe, sagt Ranewskaja. Ein Satz, der im „Kirschgarten“ genauso fällt. Armin Petras, respektive Fritz Kater nimmt die Elemente aus dem Originaltext und schiebt sie zusammen, dreht sie hoch und lässt sie explodieren. So sind auch die Beziehungen der Figuren symbiotisch, unerträglich eng und überzeichnet, Ranewskaja bandelt gar mit Lopachin an.

Überhaupt, jede der Figuren ist in ihrer Verzweiflung so überhöht, die Regie setzt auf Komödie und Lacher (die auch kommen) droht aber so, das Tragische zu ersticken. Auch die Elemente, die in die Tschechow’sche Ödnis und Langeweile als Naturphänomene einbrechen, sind hier auf die Spitze getrieben, Videoregen, Gewitter, und schließlich eine nukleare Explosion.

Die Tragik der Verschuldung und ihrer Konsequenzen wird erst kurz vor der Pause deutlich, als das Haus versteigert wird, also von der Kammerbühne gefahren, und die Figuren wie bei einer Familienaufstellung vor einer großen Folie auf der Bühnenrückwand stehen. Verloren und Opfer ihrer eigenen fatalen Entscheidungen.

Die Inszenierung, die sich immer zwischen Dystopie und Realsartire bewegt, wird mit Sci-Fi-Elementen im zweiten Teil angereichert, als Anja, die ihrer Mutter einen neuen Kirschgarten versprochen hat, mit Leon Mask (Ferdinand Lehmann, der tatsächlich erstaunlich wie sein Vornamen-Anagramm aussieht), KI-Aficionado und Teil des Longevity-Clubs, der den Tod für eine technisch zu lösende Frage hält, in der nahen Zukunft in einem Spaceshuttle zum Jupitermond Europa fliegt, in der Hoffnung, da Leben zu finden.

Der Rest der Familie harrt derweil in einem Bunker aus, wo der Wahnsinn vollends außer Kontrolle gerät. Ranewskaja bringt ihre verlorene Existenz schließlich auf den Punkt: „Am Ende haben wir nur das anzubieten, was wir verloren haben“.

Der – für die Kammerbühne sehr ambitionierte – Abend hat das Potenzial, Fragen nach Extraktion, Verantwortung und menschlicher Existenz zu stellen, die Übertragung vom Originaltext auf ein Heute gibt das her. Doch die philosophischen Überlegungen, welche die Figuren immer wieder anstreben, wirken ob all der Komödie seltsam unangebunden. In der Auslotung zwischen Natur und Technik gewinnt mal der Mensch, mal die Natur. So ist es das selbstironisch-ostige Relikt Firs, der, außer Sprüchen wie „Die FDJ zieht in den Wald und macht den Borkenkäfer kalt“ auch drauf hat, der nuklear verseuchten Erde Erträge abzuringen (genauso, wie den Satz „Mit viel Lärm und ohne Licht machen wir die Grenzen dicht“, wo das Lachen im Halse stecken bleibt). Aber nur dank Charlottas Monolog über die Emanzipation der Frau von der Natur durch künstliche Befruchtung und ihrer eingefrorenen Eizellen, besteht die Chance auf Rettung.

Auch ästhetisch bewegt sich der Abend zwischen Fundus-Requisiten, komplexen Licht- und Videoinstallationen und Kostümen, die an Ost-Futurismus erinnern. 
Für das Ensemble, das sich drei Stunden lang genüsslich in jeden Gag und jede große Emotion setzen kann und sehr ausdauernd spielt, ist der Abend ein Geschenk. Für alle anderen ein herausfordernder Anlass, Fragen zu stellen und für das Haus ein Abschied der gemeinsamen Leitung der Schauspielsparte Armin Petras, Franziska Bennack und Philipp Rosendahl.

Erschienen am 26.5.2025

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