Bericht
Zeit für „Critical Puppetry“
Das Symposium „Representing Alterity through Puppetry and Material Performance“ am Ballard Institute
Das Ballard Institute and Museum for Puppetry und das Puppets Arts Programm der University of Connecticut verhandelten im April in einem zweitägigen Online-Symposium die Darstellung des Anderen im Puppen-, Figuren- und Objekttheater. Das Symposium wurde von einem Team rund um Dr. Jungmin Song, Dr. John Bell und Prof. Matthew Cohen geleitet.
von Mareike Gaubitz
Erschienen in: double 44: Regie? – Zwischen Autor*innenschaft und Außenblick (11/2021)
Assoziationen: Nordamerika Puppen-, Figuren- & Objekttheater
Im Symposium sollte erstens reflektiert werden, wie die transformativen Fähigkeiten von darstellenden Objekten die Verwirklichung von exotischen Fantasien, rassistischen Stereotypen und Fehldarstellung unterschiedlicher Ethnien potenzieren. Die Darstellungen eines verhassten Anderen, sei es aus einer irrationalen Furcht vor dem Fremden oder aus einer tatsächlichen Angst vor dem kolonial herrschenden Fremden heraus, sind vielzählig und vielgestaltig. Die lange Geschichte des Puppen- und Figurentheaters setzt, wie jede Kunstform, der Gesellschaft einen Spiegel vor und transportiert ihre Ängste und Feindseligkeiten. Es ist wenig erstaunlich, dass Figuren, die ein ethnisches Anderes repräsentieren, häufig komische Figuren sind, die durch eine groteske Körperlichkeit hervorstechen, stereotypen Klischees entsprechen und damit zum Verlachen verführen sollen. Beispiele hierfür lieferten neben Marvin Carlsons Keynote zu „Alterity in the Arabic Puppet Theatre“ auch die türkischen Karagözspiele, das chinesische Handpuppenspiel, indonesische Puppentheaterformen und auch italienische, französische und deutsche Puppentheater.
Die Aufarbeitung rassistischer Darstellungen im Puppen-, Figuren- und Objekttheater hat in den USA aufgrund der amerikanischen Geschichte und der Black Lives Matter-Bewegung einen anderen Stellenwert als in Deutschland. William T.F. Condee hinterfragte in seinem Vortrag „Exhibiting Blackface Puppets from the German Imaginery” den Stand der Forschung in Deutschland. Er sieht die Verantwortung, diese Diskurse aufzunehmen und damit das Vakuum zu füllen, bei den Sammlungen und Museen. Hier findet sich der Ort, rassistische Darstellungen kritisch aufzuarbeiten und zu hinterfragen, da Figuren, denen rassistische Klischees anhaften, nicht aus den Depots und Ausstellungen ausgeschlossen werden können und sollten. Auch sie sind ein Teil der Geschichte. Der deutschen Gesellschaft fehlt eine „umfassende Aufarbeitung von Wirkungen, Ursprung und Folgen rassistischer Verhältnisse“, so hält es Tahir Della im Vorwort zu Tupoka Ogettes „Exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen“ (2020, S. 11) fest. Reflexionsprozesse haben vor einiger Zeit begonnen, doch ein breitenwirksames Bewusstsein für Diskriminierung ist noch lange nicht erreicht.
Es stellt sich die Frage, wie sich das Puppen-, Figuren- und Objekttheater in diesem Diskurs positionieren will. Denn was kann und darf die Puppe, die Figur, das Objekt? Ist nicht genau diese Freiheit, alles und jeden darstellen zu können, auch die größte Qualität der Kunstform? Oder ist es vielmehr Qualität und Schattenseite zugleich, da genau diese Freiheit gut reflektiert sein will, um eben gerade nicht gut gemeint zu sein aber doch diskriminierend zu wirken?
Das Symposium legte darum einen zweiten thematischen Schwerpunkt auf die Fähigkeit des Figurentheaters, überkommene Kategorien der ethnischen Identifikation zu transzendieren, diese sichtbar zu machen und ihnen zu widerstehen. So beschäftigten sich einige Vorträge mit diesem politisch kritischen Potenzial, mit Inszenierungen und Künstler*innen, die Vielfalt hervorheben und sich für Minderheiten einsetzen.
Tobi Poster-Su zeigte in seinem Vortrag „A real American Wife, A Japanese Object: Puppetry and the Orient in Minghella’s Madama Butterfly“ beide Perspektiven auf und entwickelte dafür den Begriff ‚Critical Puppetry‘. Damit bezeichnet er eine Praxis, die Phänomene, die dem Figurentheater eingeschrieben sind, dafür nutzt, politische Werte-Hierarchien zu kritisieren und ihnen zu widerstehen. Er möchte so ein Verständnis dafür schaffen, wie das Puppenspiel als Werkzeug fungieren kann, um den Blick auf das minorisierte Andere in Theaterproduktionen aktiv zu hinterfragen und zu dekonstruieren. Poster-Sus Ansatz überzeugt dabei nicht nur durch die Genauigkeit seiner Analyse, sondern vor allem dadurch, dass er nicht auf der inhaltlichen Ebene ansetzt, ohne die grundlegenden Mechanismen der Theaterproduktion selbst zu durchleuchten. Ihm geht es um die Konstruktion und Manipulation von Identitäten, die in der Form begründet liegen und über die direkt sichtbaren Akteur*innen hinausgehen. Critical Puppetry setzt demnach bei den (dem Theater eigenen) Machtstrukturen und der Frage der Autorschaft an, in denen Darstellende selbst oft marginalisiert sind. Poster-Sus Begriff und die damit beschriebene Praxis haben ein großes Potenzial in sich, die Forschung voranzutreiben und die Diskurse rund um Darstellung und Repräsentation, um die Ebene der Produktion und Rezeption zu erweitern. Die grundlegende Frage nach Machtstrukturen und Hierarchien greift in weitere Ebenen der Diskriminierung und entfaltet so eine Allgemeingültigkeit – um nicht nur das Puppentheater, sondern die Darstellenden Künste insgesamt strukturell zu hinterfragen. https://bimp.uconn.edu/ – http://tobipostersu.com/writing