Theater der Zeit

Auftritt

ANALOG Theater Köln: Bleiben oder entleiben?

„Save the Planet – Kill Yourself. Kirche der Selbstauslöschung“ (UA), eine Koproduktion mit studiobühneköln – Regie Daniel Schüßler, Textfassung Ensemble, Bühne und Kostüme Eva Sauermann, Komposition Ben Lauber

von Stefan Keim

Assoziationen: Nordrhein-Westfalen Theaterkritiken ANALOGTheater Studiobühneköln

„Save the Planet – Kill Yourself. Kirche der Selbstauslöschung“ am ANALOGTheater Köln. Foto Studio Pramudiya
„Save the Planet – Kill Yourself. Kirche der Selbstauslöschung“ am ANALOGTheater KölnFoto: Studio Pramudiya

Anzeige

Der Mensch ist das Problem. Er hat in die Natur eingegriffen, sie verändert und zerstört. Nun scheint er nicht in der Lage zu sein, die drohende Klimakatastrophe abzuwenden. Die logische Folgerung: Der Mensch muss weg. Zumindest wenn man aus der Perspektive des Planeten denkt. Das versucht die Philosophie des Antinatalismus. Flugreisen und Fleischfressen sind lässliche Sünden im Vergleich zur Existenz des Menschen überhaupt. Das Kölner ANALOG Theater geht noch einen Schritt weiter. In seinem neuen Stück ruft es nicht nur dazu auf, sich nicht mehr fortzupflanzen, sondern die Sache etwas schneller anzugehen: „Save the Planet – Kill Yourself“.

Das Publikum bewegt sich frei in einem abgetrennten Raum einer großen Halle, der Außenspielstätte der Kölner TanzFaktur im Technologiepark Ehrenfeld. Schon die Beton-Umgebung des Ortes ist abends herrlich trostlos. Im Raum gibt es ein bemaltes Prospekt und Videos, abstrahierte Landschaften, die je nach Beleuchtung ihre Stimmung verändern. Und in der Mitte steht ein Auto. Innen sieht es gepflegt aus, doch außen quellen Pflanzen, Gräser und Gestrüpp aus allen Löchern. Die Natur hat gewonnen. Auf dem Dach liegt eine nackte Frau, regungslos, tot. Ein dissonanter Klangteppich füllt den Raum, wird lauter. Menschen stehen bewegungslos, schauen das Publikum mit starrem Blick an, halten Augenkontakt. Sie öffnen die Münder, finden einen gemeinsamen Ton. Das „Ahhhhh“ schwillt an.

Das ist die „Kirche der Selbstauslöschung“, eine Kommune, die sich manchmal zu einem Sprechchor zusammenfindet und zum Suizid aufruft. Wir sind Teil davon, ob wir es wollen oder nicht. Man kann näherkommen oder Abstand suchen, der ANALOG-Schuld-und-Sühne-Chor lässt einen nicht davonkommen. Sie tauchen hinter oder vor einem auf, stellen sich hin, manchmal spürt man ihre Körperwärme. Wenn man es zulässt, ist das eigentlich ganz schön. Zumindest scheint das gemeinsame Erkalten nicht die erste Option.

Der Abend bekommt mehrere Dimensionen. Sonst würde sich die Bild- und Tongewalt des Anfangs auch bald abnutzen. Die suizidwilligen Menschen, die zum großen Teil noch ziemlich jung sind, entfalten bei ihrem Ritual eine pulsierende Sinnlichkeit. Manchmal tanzen sie wie in Trance, brechen zusammen, stehen wieder auf. Und spätestens, wenn die großartige Schauspielerin Dorothea Förtsch zu einem heftigen Heulmonolog ansetzt, kommt auch viel Selbstironie ins Spiel. Sie schluchzt, schnieft und schreit minutenlang, stößt Sätze hervor, beklagt sich, wie peinlich das ganze Leben ist, dass man alles falsch macht, egal, was man tut, alles ist doof und peinlich. Da bleibt sie lieber zu Hause. Natürlich ist das auch keine Lösung. Auch peinlich. Aber da sind wenigstens keine anderen, die sehen, wie peinlich man ist.

Ich muss oft lachen, aber gleichzeitig läuft da eine völlig verzweifelte Frau durch das Publikum, der man irgendwie helfen möchte. Aber das ist gerade nicht der Sinn der Kirche der Selbstauslöschung. Helfen verlängert ja nur die Peinlichkeit, wenn es denn überhaupt ginge. Aber soll sich wirklich die Menschheit auslöschen, nur weil alles so peinlich ist?

Die nackte Frau tritt wieder auf und bringt zwei Eimer Erde mit. Sie schüttet sie auf den Boden und legt sich hinein. Nun kommen die anderen, bedecken sie mit immer mehr Erde. Und ein seltsamer Metallstern schwebt von der Decke herab. Es ist ein Musikinstrument, eine Art Theremin zum Anfassen. Wer die verschiedenen Stäbe berührt, erzeugt einen Ton. Die Performer:innen holen nun das Publikum, nehmen uns bei der Hand, legen sie auf die Schulter der vor uns Stehenden. Wieder so ein Moment der Nähe im Tod. Dann geht das Licht aus.

Regisseur Daniel Schüßler hat eine starke Performance inszeniert, ein befremdliches und faszinierendes Erlebnis, überraschend witzig, aber in manchen Momenten habe ich auch als Einziger gelacht. Natürlich bleibt die Selbstmordfantasie Hypothese, schließlich will das ANALOG Theater das Stück am nächsten Abend wieder spielen. Aber die Frage bleibt, ob sich der Mensch weiter als Krone der Schöpfung begreifen darf. Er wird es tun, natürlich, er kann nicht anders, jedes Lebewesen kümmert sich erst einmal um sein eigenes Fortbestehen. Was bedeutet das ethisch betrachtet?

Thomas Bernhard wird im Programmzettel zitiert. Ich denke nach der Aufführung an sein Stück „Der Theatermacher“. An die Beschreibung der Absurdität des Theaters an sich und die Idee des Theatermachers Bruscon, dass man sich eigentlich umbringen sollte. Aber da wir das nicht tun, oder es zumindest noch nicht getan haben, „wenigstens bis heute und bis jetzt nicht, versuchen wir es immer wieder mit dem Theater“. Insofern ist „Save the Planet – Kill yourself“ ein sehr guter Versuch.

Erschienen am 13.9.2024

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Alex Tatarsky in „The Future Is For/ Boating“ von Pat Oleszkos, kuratiert von ACOMPI für die Galerie David Peter Francis, Juni 2024, vor dem Lady Liberty Deli im St. George Terminal, Staten Island, New York