Erfolgreiche Bücher haben es an sich, dass sich ihre zentralen Thesen oder Erkenntnisse als Schlagworte verselbstständigen. So ist es zweifelsohne auch Hans-Thies Lehmanns Studie mit dem Titel „Postdramatisches Theater“ ergangen, die 1999 im Verlag der Autoren erschienen ist. Nun, zwanzig Jahre später, macht es jedoch den Eindruck, als würde das Postdramatische nur noch als Schlagwort verwendet. Jeder benutzt es, kaum jemand weiß, wofür eigentlich. Zeit für einen Rückblick – und einen Ausblick.
Lehmanns „Postdramatisches Theater“ war seinerzeit selbst ein Rückblick – auf eine Entwicklung der Inszenierungsmittel seit den sechziger Jahren. Er stellte anhand von Beispielen wie Robert Wilson, Jan Fabre und Heiner Müller fest, dass es zu einer Verselbständigung der Kunstmittel im Theater gekommen sei, eine These, die sich durchaus in der Folge von Adornos Formulierung von der „Verfransung der Künste“ verstehen lässt. Diese „geschichtliche Bewegung des europäischen Theaters“ wollte Lehmann keineswegs so verstanden wissen, dass dies eine Norm sei, wie Theater zu machen sei. Im Gegenteil: Sein Buch ist voll von expliziten Hinweisen, dass ein postdramatisches Theater jenseits des dramatischen überhaupt nicht zu denken sei – und eine solche Perspektive auch nicht erstrebenswert wäre. Lehmanns Selbstbeschreibung war die einer „analytischen Deskription“. Er sah das Drama aus seiner inneren Logik...