Theater der Zeit

Auftritt

Theater Willy Praml Frankfurt: Französische Leichtigkeit und Deutsche Erdenschwere

„Der Schmerz“ von Marguerite Duras – Regie, Fassung und Bühne Michael Weber, Kostüme Paula Kern

von Shirin Sojitrawalla

Assoziationen: Theaterkritiken Hessen Theater Willy Praml

Muawia Harb, Anna Staab, und Jakob Gail in „Der Schmerz“ am Theater Willy Praml. Foto Seweryn Zelazny
Muawia Harb, Anna Staab, und Jakob Gail in „Der Schmerz“ am Theater Willy PramlFoto: Seweryn Zelazny

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An keinem Moment der fast zwei Stunden ertönt hier ein Wort, das nicht auch durchlebt und durchdacht scheint von denen, die es sprechen. Das kann verwundern, zumal bei einer Romanadaption, und zwar nicht irgendeiner, sondern Marguerite Duras’ „Der Schmerz“. Ein harter Text, der das Grauen unverblümt zur Sprache bringt. Regisseur Michael Weber hat die Theaterfassung erstellt und die Bühne eingerichtet. Im Mittelpunkt steht eine Frau, Marguerite Duras, die darauf wartet, dass ihr Mann aus dem Konzentrationslager heimkommt. Als Mitglied der Résistance war Robert L. (im echten Leben Robert Antelme) in deutsche Konzentrationslager deportiert worden. Bald steht er abgemagert und an Körper und Seele zerschunden vor ihr. Ein großer Mann mit nur noch 37 Kilogramm. Ein Wrack, in Frankfurt verkörpert von Jakob Gail. In einem Seitenraum der Frankfurter Naxoshalle des Theaters Willy Praml beherrscht ein ausgebrannter Bus die Bühne. Er nimmt fast die gesamte kleine Spielfläche ein, das Publikum nimmt an drei Seiten drumherum sehr dicht am Geschehen Platz. Der Bus und die Art wie er bespielt wird, erinnert an Castorf-Behausungen auf der Bühne: unwirtliche Orte, an denen das Leben, die Liebe, der Hass und vor allem der jeweilige Text kulminieren. Zu Anfang sitzt hier im selben Moment nervös und stoisch Anna Staab als bildschöne Frau mit tolldreist eingedrehter Frisur nach der Mode der damaligen Zeit. Die Flamme eines Feuerzeugs illuminiert ihr Antlitz. Schon dieser Beginn erweist sich als so spektakulär unspektakulär, dass man die Augen nicht abwenden möchte.

Immer wieder sind es kleine Details, Momente am Rande, die an diesem konzentrierten Abend Eindruck hinterlassen. Der Bus dient dabei als Sinnbild für Gewalt und Zerstörung und für ein Zuhause auf Zeit. Im Laufe des Abends bespielt das Ensemble ihn von allen Seiten, inklusive Heckfenster. Im Dach des Busses befinden sich zwei Luken, manchmal spaziert das Ensemble dort oben umher. An einer Stelle stampft jemand immer wieder mit dem Fuß auf, so dass die Frau unten im Bus den Schmerz der Überlebenden als irres Klopfen in den Schläfen spürt, oder ist es das lang ersehnte Pochen an der Tür? An anderer Stelle kauert der Wiederkehrer auf einem der großen Reifen des Busses, wie heutzutage Geflüchtete es auf ihrem Weg nach Europa tun. Im Inneren des Busses steht ein Klavier, das zuweilen betätigt wird, auch wenn die Musik vom Band kommt, wie überhaupt Musik hier als Atmosphärenverstärker dient: Klassisches, aber vor allem Chansons und Volkslieder, oft sehr Französisch, immer stimmungsvoll. Frankreichmarker setzt der Abend, ohne auf Baguette und Baskenmütze zurückzugreifen. Okay, der Liebhaber der Frau (Muawia Harb) trägt ein Bretagne-Shirt (Kostüme Paula Kern), doch französisch wirkt eher die Art, wie Weber und sein Ensemble von Krieg und Leben erzählen, etwa die Nonchalance mit der am Ende alle mit freiem Oberkörper spielen und dabei ebenso so viel von der Fragilität ihrer Existenz wie vom zerrütteten Begehren sprechen. Szenen größtmöglicher Zärtlichkeit wechseln sich ab mit krassen Verlautbarungen roher Gewalt und Unmenschlichkeit. Dabei zelebriert der Abend seine Langsamkeit, die zwar ein bisschen Sitzfleisch erfordert, aber dennoch zielführend ist. Es ist die Mischung aus französischer Leichtigkeit und deutscher Erdenschwere, die überzeugt.

Das Ensemble, allen voran Anna Staab, bewundert man nicht nur fürs Auswendiglernen irrsinniger Textmengen, sondern auch für sein variantenreiches, situativ wechselndes Spiel. Ein paarmal läuft die Frau wie manisch um den Bus herum, ihre hohen Schuhe im Raum hallen wie Hiebe, und man denkt unwillkürlich an Todesmärsche und die Hofgänge Gefangener. Die triste Fabrikhalle Naxos, in der früher Schleifmittel hergestellt wurden, ist als Spielort in diesem Zusammenhang ein Geschenk. Ein unbehaglicher Ort für einen unbehaglichen Text. Manches gerät sehr illustrativ, da kräuselt dann Zigarettenrauch aus der Dachluke des Busses, wenn von den Krematorien der Lager die Rede ist. Ein sicht- wie erfahrbares Grab in den Lüften. Und ein Abend, der als ein Stück Erinnerungskultur an die Nieren geht. 

Erschienen am 23.10.2025

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