Theater der Zeit

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Auftritt

Theater Lübeck: Die Choreografie der Photosynthese

„Wald“ von Miriam V. Lesch – Inszenierung und Choreografie Katja Wachter, Bühne Ágnes Hamvas, Kostüme Lara Hohmann

von Kristof Warda

Assoziationen: Theaterkritiken Schleswig-Holstein Katja Wachter Theater Lübeck

Erobern sich Wälder die Städte zurück? „Wald“ von Miriam V. Lesch am Theater Lübeck.
Erobern sich Wälder die Städte zurück? „Wald“ von Miriam V. Lesch am Theater Lübeck. Foto: Sinje Hasheider

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Als Sinnbild des Südens bevölkert sie eingepfercht in schwarze Plastikkübel die Außenbereiche der Restaurants in den Fußgängerzonen der Republik, gestutzt, gehegt, kultiviert und domestiziert. Die Olive, das wusste schon Plinius der Ältere, ist eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt, ihre Geschichte gilt ihm als Musterbeispiel für das Zusammenwirken von Natur und menschlicher Landwirtschaftskunst.

Vielleicht stellen Luisa Böse, Anna-Lena Hitzfeld und Jakob Tögel Olivenbäume dar, wie sie da zu Beginn der Inszenierung vor dem Vorhang stehen, ihre Körper stolze Stämme, die Arme Äste, ihre Finger feine Zweige, die im Wind wiegen und ihre Blätter zum Licht wenden. Bis zu den Knien in Kübeln referieren sie von der Weltgeschichte der Flora, viel größer und bedeutender als die erbärmliche Gegenwart des Anthropozän, die ertragen wird in dem Wissen, dass es sich nur um eine Episode handelt.

In ihrem Theaterstück „Wald“ skizziert Miriam V. Lesch in einer gelungenen Mischung aus Absurdität und Poesie wie das Ende dieser Episode ablaufen könnte: Inmitten einer andauernden Hitzeperiode erobert sich der Wald die Städte Europas zurück, die in Einzelinteressen zerfallene Gesellschaft reibt sich an Fragen des richtigen Reagierens gänzlich auf. Was mit einer Buche auf dem Balkon beginnt, endet mit entvölkerten, überwucherten Städten, durch die die letzten Menschen irren auf der Suche nach einem guten Platz, um Wurzeln zu schlagen: „Anpassen oder Aussterben“ lautet die Devise.

Schon in der ersten Szene deutet sich an, was Regisseurin Katja Wachter im weiteren Verlauf zu einer ausgewachsenen, körperlich anspruchsvollen Choreografie der Photosynthese webt: Wasser transportieren, Glucose aufnehmen, Sauerstoff ausatmen. Nach außen Rinde produzieren, nach innen Holz. Die Prozesse des grünen Wachstums entwickeln sich zu einem unerbittlichen Tanz, der mit maschinenhafter Unaufhaltsamkeit alles mit sich reißt und überwuchert. In Elementen des Modern Dance findet Wachter so eine starke Darstellungsform für den Vorgang, den die Worte in Leschs Stück beschreiben. Das spielfreudige Ensemble setzt das voller Leichtigkeit und mit Bravour um. Daubneresk verlesene Nachrichtenmeldungen vom überwucherten Eiffelturm, von Flüchtlingsströmen gen Süden und geschlossenen Grenzen liefern ein dystopisches Hintergrundrauschen.

Leschs Sprache changiert dabei zwischen naturkundlicher Präzision und absurder Fantastik, zwischen ironischem Ernst und heiterem Erkenntnisgewinn. Die sprechende Flora und Fauna wirkt nie albern, sondern zeugt von einer Welt, in der alles miteinander kommuniziert. Nur der Mensch hört nicht richtig zu. Im Gegenteil. Er erklärt den Rest der Natur zu seinem Feind. Cäsar (Johannes Merz), der aus der römischen Antike vorbeischaut, um nach seinen für die Ewigkeit gebauten Straßen zu suchen, gibt den Befehl zum Angriff: „Die Pflanzen sind uns an Zahlen weit überlegen. Deshalb müssen wir jetzt zuschlagen, uns zusammentun und hacken, sägen, wo wir nur können.“

Und Plinius? Der warnt: „Wir müssen aufhören, die Natur zu verharmlosen. Die Bäume und Moose, Pilze, Käfer, Rehböcke, Farne, die stecken alle unter einer Decke, die arbeiten zusammen.“ Die Natur scheint sich verschworen zu haben gegen die aus der Art geschlagene Spezies Mensch und ihre Hybris, sich seine Umwelt Untertan machen zu können. Das erinnert an Frank Schätzings Der Schwarm, nur eben an Land.  

Der künstlerische Überwuchs in Leschs Stück – Bäume, Pilze, flüsternde Wälder – steht nicht nur für dystopische Überzeichnung, sondern eröffnet ein utopisches Potenzial. Es fordert von uns: Neubewertung des Verhältnisses zur Natur, Überdenken unserer Städteplanung.           

In der Realität gibt es bereits konkrete Ansätze, die in eine ähnliche Richtung führen. Zu Bespiel das Schwammstadt‑Konzept: Eine Stadt, die Regenwasser aufsaugt, speichert, Verdunstung zulässt und Grünräume konsequent mitdenkt statt Betonwüsten plant.

Ein beachtenswertes Beispiel bietet ausgerechnet das in den Stück-Nachrichten erwähnte Paris: Durch systematische Begrünung von Straßen und Fassaden gelang es in den letzten Jahren, einen Temperaturrückgang in den Hitzeperioden zu erzielen. Paris s´adapte: Nach mehr als 1.000 Hitzetoten im Jahr 2003 hat die französische Hauptstadt zwischen Anpassen und Aussterben ersteres gewählt. Ein Viertel der Stadtfläche ist bereits begrünt. Olivenbäume in Plastikkübeln nicht mitgezählt. Sie gehören nicht zum Prinzip Schwammstadt, eher zur Kulisse eines alten Missverständnisses: dass sich Natur dauerhaft in Form bringen ließe. Dabei lebt das Zusammenspiel von Natur und Kunst, wie Plinius der Ältere es beschrieb, nicht vom Beherrschen, sondern vom Achten und Respektieren. Und außerdem ist es wie bei jeder tragischen Liebesgeschichte, sagt eine der Figuren im Stück: Wir brauchen die Pflanzen, aber sie brauchen uns nicht.

Erschienen am 1.12.2025

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