Theater der Zeit

Auftritt

Theater Rudolstadt: Alle für Egon

„Die Olsenbande greift nach den Sternen“, Komödie von Steffen Mensching unter Verwendung der Filme von Erik Balling und Henning Bahs – Regie Markus Fennert, Bühne Ronald Winter, Kostüme Josefine Schorcht, Ronald Winter

von Michael Helbing

Assoziationen: Thüringen Theaterkritiken Markus Fennert Steffen Menschig Theater Rudolstadt

Himmelblauer Trabant statt verrosteter Chevrolet: Ulrike Gronow (Yvonne), Markus Seidensticker (Kjeld), Benjamin Petschke (Egon), Michael Goralczyk (Benny) und Franz Gnauck (Børge) auf der Heidecksburg in Rudolstadt. Foto Anke Neugebauer/Theater Rudolstadt
Himmelblauer Trabant statt verrosteter Chevrolet: Ulrike Gronow (Yvonne), Markus Seidensticker (Kjeld), Benjamin Petschke (Egon), Michael Goralczyk (Benny) und Franz Gnauck (Børge) auf der Heidecksburg in Rudolstadt.Foto: Anke Neugebauer/Theater Rudolstadt

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Ein kleines bisschen ist es so, als sei mit dieser Filmreihe, was die Motivlage betrifft, die „Dreigroschenoper“ in Serie gegangen: sozusagen von „Ja mach nur einen Plan“ bis „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“. Kapitalismuskritik auf die unterhaltsame Tour lieferten dreizehn dänische Gaunerklamotten rund um die Olsenbande zuverlässig mit, die Erik Balling und Henning Bahs zwischen 1968 und 1981 schrieben und drehten. Eine vierzehnte folgte 1998. Kleiner Mann trickst darin zumindest zeitweise ein konsequent korruptes Netzwerk aus Politik, Industrie und Banken aus, streckt ihm mitunter gar die Zunge raus. Am Ende aber heißt es meistens: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.

„Ich habe einen Plan!“, erklärt Egon Olsen. „Mächtig gewaltig!“, freut sich Benny Frandsen. Und Kjeld Jensen fragt ängstlich, ob es gefährlich werden könnte. – So lief das so gut wie immer ab bei diesem Trio, das mit genialisch witzigen Ideen einen Millionen-Coup ins Werk setzte, der ein ums andere Mal am Allzumenschlichen scheiterte. Das wurde in der DDR ein Riesenerfolg: auch aufgrund der hier vorgeführten Erfindungs- und Improvisationskunst, gleichsam aus Scheiße Gold zu machen, sowie aufgrund der DEFA-Synchronisationen. Im westdeutschen Fernsehen liefen ein paar dieser Filme in eigener Fassung, mit albernen Titeln und ohne bleibenden Eindruck.

So gut wie niemand im oder aus dem Westen weiß mit der Olsenbande was anzufangen. Im Osten sind das bei Älteren und Alten ikonische Filmfiguren: Egon mit grauer Melone und Zigarrenstummel, der Tresore der Firma Franz Jäger, Berlin, mithilfe eines Stethoskops knackt, das spargelhafte Filou Benny mit kariertem Sakko zum Hut und gelben Socken unter der Hochwasserhose, seinem Trippelgang und dem Metallstück, mit dem er Türen aufbricht, sowie der dickliche Hasenfuß Kjeld mit Cordjacke, Schirmmütze und Hebammentasche sowie unter der Knute seiner resoluten und dauerplappernden Hausfrau Yvonne mit Hang zu Gänseblümchen am Kleide.

Diese Gestalten, die mehrere Generationen im Kino und Fernsehen prägten (MDR und RBB strahlen die Filme bisheute so regelmäßig aus wie andere „Sissi“, „Winnetou“ oder „James Bond“), laufen auf der Theaterbühne leicht Gefahr, billiger Abklatsch zu werden. Peter Dehler versuchte diesen Griff ins Nostalgieprogramm dennoch erfolgreich, als er die Uraufführung seines Stückes „Die Olsenbande dreht durch“ 1997 in Cottbus inszenierte. Seitdem wurde das vielfach nachgespielt.

In Rudolstadt verwendete jetzt Intendant Steffen Mensching, Autor von Hause aus, nicht Dehlers Stück, aber das nämliche Prinzip: ein Best-of der Motive und Dialoge aus allen Filmen, zusammengehalten durch eine neue Geschichte: Bankier Bang Johansen (Johannes Arpe), „der große Hintermann“ aus dem militärisch-industriellen Komplex, kehrt von Nizza über Malmö zurück nach Kopenhagen, um ganz Dänemark in einen Freizeitpark für Superreiche umbauen. Ein Motiv aus „Die Olsenbande steigt aufs Dach“ von 1978 wird hier dem Klimawandel zugeneigt: Bornholm statt Karibik. Um an seine 750 Millionen auf Schweizer Konten ranzukommen („Kronen? – Euro!“), braucht er einen Datenstick. Der liegt in einem Franz-Jäger-Tresor im Büro des desillusionierten und deprimierten Kriminalkommissars Jensen (Marcus Ostberg), wovon nicht nur Egon Wind bekommen hat. Zugleich stehen Yvonne und Kjeld vor ihrer Silberhochzeit … Wie Dehlers Fassung verlangt auch diese besetzungstechnisch nach einer Dame und acht Herren sowie einer kleinen Statisterie.

„Die Olsenbande greift nach den Sternen“ wurde Menschings Coup fürs alljährliche Sommertheater seines Hauses auf der Heidecksburg über der Stadt, das stets auch solche erreicht, die sonst nie einen Fuß ins Theater setzen. Bilanz: siebzehn ausverkaufte Vorstellungen über den Juni hinweg. Zum ersten Mal ist der Intendant als Autor aber nicht sein eigener Regisseur. Er überließ dem in Rudolstadt längst gut eingeführten Markus Fennert den Vortritt, der sozusagen ein Wessi in Weimar ist und der Olsenbande unvoreingenommen begegnete. Er hatte noch nie auch nur einen dieser Filme gesehen. Inzwischen hat er sie alle intus und lieferte, derart präpariert, eine handwerklich saubere Inszenierung ab, die vom minutiösen Timing lebt, um Wortwitz und Situationskomik zur Geltung zu bringen.

Genre und Gegenstand lassen wenig Spielraum, sie wollen einfach bedient werden. Der Affe, den man sich anlachte, verlangt seinen Zucker. Den kriegt er mal mehr, mal weniger zuverlässig in der gemalten, als Filmstreifen gerahmten Kulisse (rechts die Stube von Yvonne und Kjeld, rechts des Kommissars Büro, drüber der Tresor). Streckenweise gibt’s nur komödiantisches Graubrot. Diese Aufführung bedeutet kein reines Vergnügen, aber doch immer mal wieder eines.

Fragen könnte man zwar, ob das auch bei denen funktionierte, die von der Olsenbande keinen Schimmer haben. Vermutlich nicht. Aber solche Klientel ist im Publikum sowieso eher Mangelware. Sie würde schon zu Beginn kaum die Pointe verstehen, dass Benny und Kjeld im himmelblauen Trabant anstatt im rostigen und klapprigen Chevrolet Bel Air vors dänische Staatsgefängnis fahren, um dann nicht, wie üblich, Egon dort abzuholen (der nach einer knappen halben Stunde ins Geschehen eingreift), sondern Kjelds Sohn Børge (Franz Gnauck).

Im Trio sticht Markus Seidenstickers treudoofer Kjeld heraus, der mit dem Material ständiger Überforderung gut spielen kann, während Michael Goralczyks Benny ein unterbelichteter Mitläufer bleibt (was nicht am Schauspieler liegt). Und Benjamin Petschkes Egon erweist sich ein wenig zu sehr auf Schimpftiraden (Flachzangen, Blödmänner, Versager, Schwachköpfe) reduziert. Derweil räumt Ulrike Gronows Yvonne Lacher und Applaus ab; das orientiert sich im Ton stark und klug an Margit Bendokats Synchronstimme (eine von mehreren in der Reihe).

Fennerts Inszenierung beweist Musikalität auch dort, wo Uwe Stegers munteres Ein-Mann-Orchester am Digitalakkordeon sowie alle Gesänge schweigen, beides aber verleiht dem Abend Konturen und Dynamik: von Bent Fabricius-Bjerres originaler, am Dixieland geschulter Titelmusik über jene aus „Mission Impossible“ oder den Miss-Marple-Filmen mit Margaret Rutherford. Zudem kontert der Regisseur mit westdeutscher Nostalgie: wenn Kjeld und Yvonne Heinz Erhardts „Zur Liebe ist es nie zu spät“ singen und die ganze Truppe, wie weiland Vivi Bach und Dietmar Schönherr, „Das Leben meint es gut mit Dänen und mit denen, denen Dänen nahestehen.“

Raus aus dem Knast und wieder rein: Diesen Bogen, den die Filme für Egon spannten, lässt das Stück final reißen. Plötzlich mittellos in Ostdeutschland, will der kleine Gauner ganz groß als Thüringer Ministerpräsident rauskommen und tritt deshalb bei der Landtagswahl im September für die AfE kandidieren: Alle für Egon. Die Sympathie der Zuschauer ist ihm gewiss. Und er besitzt, was nicht die Regel ist: einen penibel ausgetüftelten Plan.

Erschienen am 26.6.2024

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