Die Unterbrechung denken II: „Evidenzbasierte Politik“
von Wolfgang Engler
Erschienen in: Wendungen: Die andere Wahrheit (09/2021)
Es gab da einen zweiten Begriff, der in der Corona-Pandemie Furore machte und aufhorchen ließ: „evidenzbasierte Politik“. Er kündigte eine Neujustierung des Verhältnisses von Wissenschaft, Politik und gesellschaftlicher Konsensbildung an. Während der Weltfinanzkrise von 2008/09 war davon keine Rede. Seinerzeit stand die (ökonomische) Wissenschaft am Pranger. Sie hatte die Signale ignoriert, die den Crash ankündigten, die Überhitzung der Finanzmärkte mit ihren fahrlässig-optimistischen Prognosen weiter befeuert. Bei der Abwicklung der Krise stützte sich die Politik in ihrer Not und mit bekannten Folgen daher lieber auf Expertisen aus dem Zentrum des Bebens als auf die Ratschläge der Versager.
Das Corona-Krisenmanagement stand dagegen von Anfang an im Zeichen einer engen Allianz von Politik, Wissenschaft und Massenmedien. Seither bestimmen Zahlen, Verlaufskurven, Prognosen die Nachrichtenlage, gibt es keine politische Maßregel ohne Rückgriff auf diese ‚harten Fakten‘. Die Spezialisten können sich irren, untereinander uneins sein, aber niemand versteht das Virus besser als sie und so müssen sich die Entscheidungsträger auf die einen oder die anderen Berater stützen, wenn sie elementare Freiheiten beschränken. Wenn die von ihnen erlassenen Verordnungen ihr Ziel verfehlen, ist das ärgerlich, aber kein großes Unglück. Die Prognosen der Fachleute greifen nicht allzu weit voraus, sie lassen sich binnen weniger Wochen verifizieren bzw. falsifizieren....