Theater der Zeit

Auftritt

Bern: Sackgassen überall

Konzert Theater Bern: „Die Toten“ (UA) nach dem Roman von Christian Kracht. Regie Claudia Meyer, Bühne Konstantina Dacheva und Claudia Meyer, Kostüme Barbara Kurth

von Harald Müller

Erschienen in: Theater der Zeit: Wovon lebt der Mensch? – Wolfgang Engler und Klaus Lederer (02/2018)

Assoziationen: Bühnen Bern

Das Konzert Theater Bern lädt ein zur Uraufführung von Christian Krachts Roman „Die Toten“. Der Autor wurde mit „Faserland“ in den späten Neunzigern berühmt und mit seinem 2012 erschienenen „Imperium“-Roman endgültig zu einem bedeutenden Gegenwartsautor ausgerufen, der sich auch gerne vom ARD-Literaturerklärer Denis Scheck in den Hollywood Hills fernsehinterviewen lässt. Für den Berner Abend ist darüber hinaus noch von Interesse, dass Kracht im Jahr 2000 unter dem Titel „Der gelbe Bleistift“ eine Sammlung mit, sagen wir: dandyhaften, Reiseberichten aus Japan herausgab, in der sich auch ein Text mit dem Titel „Lob des Schattens“ findet, der sich auf den gleichnamigen Essay von Tanizaki Jun’ichiro bezieht. Dabei handelt es sich um den maßgeblichen Essay der japanischen Ästhetik, der sich mit den Wurzeln fernöstlicher Schönheit wie mit deren bevorstehendem Ende durch den kosmopolitischen Hegemonismus des Westens auseinandersetzt.

Wirkten diese frühen Texte noch wie Fingerübungen in der Annäherung an japanische Eigenheiten, so ist „Die Toten“ tief geprägt von japanischer Kultur, ja setzt sogar profunde Kenntnisse japanischer Begriffe voraus, etwa wenn der Roman mit einem Seppuku, einem ritualisierten Selbstmord mittels eines Dolchs, beginnt. Der Roman spielt um 1933 auf zwei Kontinenten. In Europa, genauer: Berlin, versucht der Schweizer Filmregisseur Emil Nägeli, motiviert von einem gewissen Siegfried Kracauer und einer gewissen Lotte Eisner, den UFA-Chef Alfred Hugenberg, den späteren Nazi-Minister für Wirtschaft, Landwirtschaft und Ernährung, zur Finanzierung eines Gruselfilms, der in Japan spielen soll, zu überreden. In Japan, also Asien, ist zur gleichen Zeit ein japanischer Kulturbeamter dabei, eine „zelluloidene Achse“ zwischen Tokio und Berlin herzustellen, die sich dem amerikanischen Kulturimperialismus in Gestalt des verachteten Tonfilms widersetzen soll, der sich „virengleich über das Kaiserreich der Showa-Dynastie“ auszubreiten im Begriff ist. Im Verlauf des Romans kommt es zur Begegnung der beiden Protagonisten, zwischen ihnen aber steht Nägelis Verlobte, eine junge deutsche Schauspielerin mit durchaus eigenen Ambitionen. Der Rest scheint bekannt, Nägeli droht in der japanischen Fremde unterzugehen, seine Freundin erfährt das gleiche Schicksal im kalifornischen Hollywood.

Die Regisseurin des Abends, Claudia Meyer, die gemeinsam mit Malte Ubenauf, dem Dramaturgen von Christoph Marthaler, für die Spielfassung verantwortlich zeichnet, war gut beraten, den anspielungs- und penetrant adjektivreichen Eigenheiten des Autors, die bis ins Spleenhafte reichen, wenn er beispielsweise Ritualselbstmorde minutiös erörtert, zu misstrauen und den ein wenig kolportagehaft wirkenden Grundvorgang im Roman als Allegorie tatsächlicher historischer Ereignisse zu betonen – es ist ein Gang in die Asche. Wie schon in ihren ersten Arbeiten in Bern – Rainer Werner Fassbinders „Katzelmacher“ (2016) und Lukas Bärfuss’ „Die Reise von Klaus und Edith durch den Schacht zum Mittelpunkt der Erde“ (2017) – hat Meyer mit Irina Wrona und Nico Delpy zwei exzellente Schauspieler zur Verfügung, die mit ihren Kollegen Alexander Maria Schmidt und Gabriel Schneider den Abend weitestgehend von Ironie und Verspieltheit befreien. Die Inszenierung bedient sich stattdessen – was naheliegend ist – eines eigens gedrehten Films, der den Verlust des Regisseurs Nägeli in Japan andeutet. Sackgassen überall: Der deutsche und der japanische Weg führen nur in den Krieg und den Untergang, dann bleibt noch der Weg nach Hollywood ... Kein leichter Abend, aber einer, der die im Roman angespielten Phobien des 20. Jahrhunderts einer neuen Ernsthaftigkeit zuführt. //

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