Gerhart Hauptmann
von Georg Lukács
Erschienen in: Georg Lukács – Texte zum Theater (06/2021)
Die Persönlichkeit
In seinem Aufsatz »Die Victor-Hugo-Legende« charakterisiert Paul Lafargue Hugo folgendermaßen: »diese Sonnenblume, die ihrer natürlichen Anlage nach dazu verdammt war, sich stets der Sonne zuzuwenden …«; er beschreibt damit einen bestimmten Typus von Schriftstellern – zu welchem Typus auch Gerhart Hauptmann gehört – ganz ausgezeichnet. Solche Schriftsteller sind nicht direkte Diener der Klasse, der sie angehören, weder im Sinne eines bewussten Vorkämpfertums (oder Klopffechtertums) der Klasseninteressen, noch im Sinne eines geschäftsmäßigen Bedienens der jeweils herrschenden Strömungen in der Klasse. Solche Schriftsteller sprechen vielmehr nur naiv, spontan, gutgläubig, subjektiv überzeugt das aus, was ihnen auf der Seele liegt; sie wären sogar bereit und sind zuweilen bereit, tapfer in Opposition zu politischen Machthabern, zu literarischen Moderichtungen zu stehen. Aber Inhalt und Form dieses gutgläubigen Sich-aussprechens ist nichts anderes, als was der Durchschnittsmensch der Klasse denkt und empfindet, erlebt und erstrebt.
Gerhart Hauptmann repräsentiert diesen Typus in Reinkultur. Er ist ein wirklich echter Dichter in der traditionellen Bedeutung des Wortes. Eine Äolsharfe: der Wind saust (oder säuselt) durch die Saiten und diese erklingen stets, je nach der Stärke und der Richtung des Windes. Aber der Wind, der durch die Saiten fährt, ist nur der Atem der liberalen Bourgeoisie Deutschlands, bzw. ihrer...