Unbehagen an der bürgerlichen Ordnung
Spektakel der alltäglichen Warenzirkulation: Passagen
von Joachim Fiebach
Erschienen in: Welt Theater Geschichte – Eine Kulturgeschichte des Theatralen (05/2015)
Assoziationen: Theatergeschichte
Kulturhistorisch am bedeutendsten waren im 19. Jahrhundert der Beginn des permanenten Spektakels der Warenzirkulation und des Konsums sowie die theatralen Weltausstellungen. Das Ausstellen, Beschauen, das unmittelbare oder potenzielle Aneignen von Dingen und Aktivitäten, ist die gleichsam typische, wichtigste kommunikative/theatrale Tätigkeit der entfalteten bürgerlich-kapitalistischen Ordnung. Ihre ersten massenwirksamen Warenschauspiele inszenierte sie in den Passagen, den sich jetzt über das ganze Jahr erstreckenden und in die urbanen Zentren gebrachten Jahrmärkten. Schon zu Beginn des Jahrhunderts ließen sie erkennen, dass puritanische Un-Sinnlichkeit, Disziplinierung zur Kargheit, radikaler Utilitarismus nur Momente in der Komplexität neuer historisch signifikanter Haltungen waren. Straßenähnliche Raumfluchten, glasüberdachte Verbindungswege, auf beiden Seiten gesäumt von Läden und Schauspielanbietern, entstanden die Passagen aus den sozialen Umwälzungen an der Wende zum 19. Jahrhundert und als Folge der Emanzipation des Bürgertums. Die neue bürgerlich bestimmte Ordnung schuf öffentliche Raumfolgen, in denen sich Handel und Wandel großstädtisch zu entfalten begannen, um den Bedürfnissen einer rasch wachsenden Massengesellschaft nachzukommen – Räume, wo sich neue Techniken im Warenangebot, in Schaufenstergestaltung, Schriftreklame und Beleuchtung entwickelten. Die neuen Baustoffe Glas und Eisen und neue Beleuchtungstechniken wie, seit den 1820er Jahren, das Gaslicht waren die materielle Grundlage, das Spektakel der „Warenästhetik“, die vieldimensionalen Wahrnehmungsperspektiven und die Beweglichkeit der rezipierenden Fußgänger...