Theater der Zeit

Bericht

„Wir machen Erlangen fit“

Wie und warum das Kulturamt ein Impfzentrum organisiert

Bodo Birk, Leiter der Abteilung Festivals und Programme im Kulturamt der Stadt Erlangen und des internationalen figuren.theater.festivals Erlangen, beschäftigt sich aktuell zusätzlich zu den kulturellen Planungen mit dem Management des Erlanger Impfzentrums und gibt im Folgenden einen Einblick in diese Arbeit.

von Bodo Birk

Erschienen in: double 43: Barrieren | frei – Zugänge zum Figurentheater (04/2021)

Assoziationen: Bayern Puppen-, Figuren- & Objekttheater Debatte

Anzeige

Anzeige

Termine planen, technische Anforderungen prüfen, Material anmieten, Abläufe koordinieren, Personal gewinnen, Pressearbeit, Kommunikation … Das könnte ein ganz normaler Jahresbeginn sein im Kulturamt der Stadt Erlangen. Der Beginn eines Jahres mit einem internationalen figuren.theater.festival. Aber was ist schon normal, seitdem das Corona-Virus aufgetaucht ist und die Welt verändert hat?

Am Freitag, den 13. November, erreichte das Kulturamt ein folgenreicher Anruf des Erlanger Oberbürgermeisters. Die Stadt Erlangen würde ein Impfzentrum für die 250.000 Einwohner*innen der Stadt und des Landkreises Erlangen-Höchstadt aufbauen und betreiben müssen. In vier Wochen, so die Vorgabe der Staatsregierung, müsse das Zentrum startbereit sein. Und wer sei für diese Aufgabe besser geeignet als das in Sachen Großveranstaltungen erfahrene Festivalteam? Schnell haben wir im Kulturamt verstanden: Es handelte sich um keine Anfrage.

Zur Verteidigung der Stadtspitze sei betont, dass der Oberbürgermeister bis heute bei jeder Gelegenheit deutlich macht, dass er nicht etwa deshalb so entschieden hat, weil er glaubt, dass Kulturämter in Pandemie-Zeiten nichts zu tun hätten. Florian Janik weiß sehr wohl, dass seine Kulturverwaltung die wichtige Aufgabe hat, Künstler*innen Perspektiven zu bieten und die Jahresplanungen ständig den Inzidenzzahlen anzupassen, um startklar zu sein, sobald wieder etwas möglich ist. Nein, er war und ist tatsächlich der Auffassung, dass wir die Aufgabe am besten bewältigen können. Wir verstehen das inzwischen.

Eine „Spielstätte“ musste gefunden werden, die den Anforderungen entspricht. In unserem Fall ist es ein rund 2.000 Quadratmeter großes ehemaliges Sportkaufhaus in der Innenstadt. Es musste vollkommen entkernt werden, Wände wurden herausgerissen und neu eingefügt, Beleuchtung, Heizung, Lüftung und Sicherheitstechnik installiert, eine Gesundheitseinrichtung nach aktuellen Hygienestandards geschaffen. Nur der Werbespruch des ehemaligen Sporthauses an der Decke des Treppenhauses ist geblieben: „Wir machen Erlangen fit“.

Die Dramaturgie des Impfens

Die Abläufe des Impfprozesses wurden an das Gebäude angepasst, Kapazitäten berechnet und Sicherheitskonzepte entwickelt. Wenn man Erfahrung damit hat, wie eine Ausstellung aufzubauen ist, hilft das dabei, einen intuitiven Ablauf zu planen. Dem Impfzentrum Erlangen sieht man an, dass sich Designer*innen und Architekt*innen um das „Bühnenbild“ gekümmert haben, die Terminvergabe eines Impfzentrums hat überraschend viele Gemeinsamkeiten mit dem Veranstaltungs-Ticketing, vor Ort kümmern sich die Kolleg*innen des Erlanger Kulturzentrums E-Werk freundlich und hilfsbereit um das „Publikum“. Und als sich im Januar dann zum ersten Mal die Türen des Impfzentrums öffneten, fühlte es sich an wie bei einer Premiere.

Üblicherweise wartet man nach der Premiere gespannt auf die ersten Kritiken. Wer hätte gedacht, dass man einmal morgens die Zeitung aufschlägt und hofft, keinen Artikel über die eigenen Aktivitäten darin zu finden. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für ein Impfzentrum zu machen, ist eine vollkommen neue Erfahrung. Es gleicht dem Kampf gegen die Hydra: Jede Frage, die man zu beantworten versucht, jede investigative Enthüllung, die man mühsam entkräften konnte, löst neue kommunikative Flächenbrände aus. Jede einzelne Impfdosis wird argwöhnisch beobachtet, und üblicherweise freundliche Lokalredaktionen entwickeln ungeahnten Ehrgeiz in der Kreation reißerischer Überschriften. Wie beneidenswert, dass normalerweise eine schlechte Kritik das Schlimmste ist, was uns passieren kann.

Katastrophenschutz ist kein Ponyhof

Die Liebe zum Publikum ist das, was uns in der Kulturarbeit antreibt. Auf die Wünsche und Bedürfnisse jede*r einzelne*n Besucher*in einzugehen, jede Nachfrage individuell zu beantworten, den letzten einigermaßen vertretbaren Treppenplatz zu ermöglichen, den Besuch unserer Veranstaltungen zu einem angenehmen Erlebnis zu machen. Ich glaube, deshalb organisieren wir in Erlangen auch ein sehr menschliches Impfzentrum. Auch wenn die Besucher*innen im Fachjargon „Impflinge“ sind. Aber, „Pandemie-Bekämpfung“, so unser Oberbürgermeister, „ist kein Ponyhof“. Wir müssen auch lernen, dass wir uns vor lauter Freundlichkeit nicht verzetteln dürfen. Dass es im Katastrophenfall darum geht, möglichst vielen Menschen möglichst effizient zu helfen, und dass Einzelschicksale manchmal in den Hintergrund treten müssen.

Als das Kulturamt in das Gesundheitswesen eingestiegen ist, betonte Erlangens Kulturreferentin Anke Steinert-Neuwirth, dass die Kultur in diesem Jahr aber nicht darunter leiden dürfte. Ein frommer Wunsch, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat. Mobile Teams in Alten- und Behinderten-Einrichtungen, Änderungen in der Impfpriorisierung, neue Vakzine und aktuell die Aufgabe, drei weitere Impfzentrums-Außenstellen im Landkreis zu errichten. Von Routine keine Spur. Inzwischen arbeiten über 200 Menschen im und rund um das Impfzentrum, ein 500 Quadratmeter großes „Festivalbüro“ ist entstanden und wenn die Telefonhotline dort überlastet ist, springen schon einmal die im Kulturamt verbliebenen Kolleg*innen ein, nehmen Registrierungen vor und beantworten Fragen.

Dennoch bereiten wir weiterhin das internationale figuren.theater.festival 2021 vor, das als Spezialausgabe vor allem in Form von Veranstaltungen im öffentlichen Raum, mit Sonderformaten und digitalen Projekten vom 7. bis 16. Mai stattfinden soll. Meine Mitarbeiter*innen müssen noch mehr Verantwortung für die Programmplanung und die Organisationsstrukturen übernehmen, als sie es sonst schon tun. Und ich mache gerade einen Intensivkurs darin, Verantwortung abzugeben und den Kompetenzen meiner Kolleg*innen noch mehr zu vertrauen. Zwei große Aufgaben sind zu bewältigen: Künstler*innen Auftritts- und Verdienstmöglichkeiten und vor allem Perspektiven zu bieten, und die Pandemie zu bekämpfen. Wir finden beides gleichermaßen wichtig und sind dankbar, unseren Beitrag leisten zu dürfen.

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"
Recherchen 163 "Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny  im Spiegel von Mythos und Religion"
Passionsspiele Oberammergau 2022
"Theater der Vereinnahmung"
Recherchen 156 "Ästhetiken der Intervention"
"Theater unser"
"Pledge and Play"