Essay
Gebrannt hat es immer schon
Stimmen zeitgenössischer chilenischer Künstler:innen gegen das Theater
von Nicolás Lange
Erschienen in: Theater der Zeit Spezial: Chile (09/2023)
Assoziationen: Debatte Dossier: Chile
Ich möchte diesen Text mit einer Idee beginnen: Chile als Verb zu denken, nicht als Substantiv. Als Handlung, nicht als Territorium. Mehr als Landschaft denn als Land. Wenn Nicanor Parra davon spricht, dass „wir glauben, ein Land zu sein und in Wahrheit gerade mal eine Landschaft sind“, dann stelle ich mir (ohne das moralische Gewicht des Wortes glauben), darunter die Freiheit vor, aus diesem offenen Raum heraus eine Dramaturgie zu entwickeln. Ein Schreiben für das Theater, ohne Besitzansprüche, ohne vorgefertigtes Alphabet, aber mit einer Prämisse: die Existenz einer Grenze, eines Endpunkts – in der Antarktis, der Wüste, dem Meer. Und im Meer: die Körper. In gewisser Weise spielt das chilenische Theater immer auch mit dieser Grenze, diesem Ende – mit oder ohne Körper.
Im Folgenden zitiere ich Interviewpartner:innen, mit denen ich über die zeitgenössische Theaterlandschaft und über ihre Skepsis in Sachen Sprechtheater gesprochen habe. Es gibt einen Flirt mit körperlichen und klanglichen autobiografischen Entdeckungsreisen, der Site-specific art an verschiedenen Erinnerungsorten, dem täglichen Leben, dem Bedürfnis, neue Metaphern zu finden, dem Wunsch, wieder sagen zu können: Das ist Theater, weil wir es so wollen. Vielleicht besteht das chilenische Theater aus diesem Verlangen, die Dinge zu benennen, auch wenn das,...