Gespräch
„Fragen, die ich mir in der Schauspielregie nicht stelle.”
Statements zur Werkstatt Regie und Objekt in Dresden
Die Gründung einer Fortbildung für Puppen- und Objekttheaterregie am tjg.theater junge generation Dresden ist als Reaktion auf einen eklatanten Mangel zu verstehen: Es gibt bisher keine Ausbildung für Regie im Bereich der animierten Theaterformen.1 Zum Abschluss der Dresdner Werkstatt befragte die Direktorin des Figurentheaters am Theater Chemnitz, Gundula Hoffmann, teilnehmende Regisseur*innen und Darsteller*innen und leitet auch die daraus entstandenen, hier auszugsweise wiedergegebenen Reflexionen und Kommentare ein.
von Ulrike Schuster, Viviane Podlich, Nora Otte, Christoph Levermann und Johanna Zielinski
Erschienen in: double 40: Good Vibrations! – Resonanzen im Figurentheater (11/2019)
Assoziationen: Sachsen-Anhalt Sachsen Puppen-, Figuren- & Objekttheater Puppentheater Magdeburg Theater Chemnitz Theater Junge Generation
Acht Regisseur*innen besuchten von September 2018 bis August 2019 die Werkstatt Regie und Objekt am tjg. theater junge generation Dresden. Die von der Intendantin Felicitas Loewe initiierte und in Kooperation mit dem Studiengang Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch" Berlin konzipierte Fortbildung für Puppen- und Objekttheaterregie wurde durch den Theaterpreis des Bundes finanziert, die künstlerische Leitung lag bei der Regisseurin und Professorin am kooperierenden Studiengang, Astrid Griesbach. Auf diverse Blockveranstaltungen zu Theorie und Praxis des Puppen- und Objekttheaters folgte Ende August 2019 die Abschlussinszenierung „Marco Polo“.
Ich lernte die teilnehmenden Regisseur*innen während des sächsischen Puppentheatertreffens in Sauen kennen, wo sie gemeinsam mit den Kolleg*innen der sächsischen Puppentheater Workshops besuchten und ihre selbstständig entwickelten Regie-Konzepte vorstellten: Inspiriert von „Il Milione“ und einem Kinderbuch zu Marco Polo wählte jede*r der acht Werkstatt-Teilnehmer*innen eine Station oder Episode aus der Reise Marco Polos und interpretierte diese mit Mitteln des Erzählens und des Puppen- und Objekttheaters aus eigener, heutiger Sicht.
Nach dem Besuch der Premiere stellte ich drei beteiligten Regisseur*innen sowie zwei Spielerinnen per Email einige Fragen.
Fragen an die Werkstattteilnehmer*innen Nora Otte, Christoph Levermann und Johanna Zielinski:
Welche Erfahrungen habt ihr in diesem Jahr in der Werkstatt Regie und Objekt gesammelt?
Nora Otte: Ich habe die Zusammenarbeit mit dem Puppenspieler*innen-Ensemble am tjg sehr genossen. Sie haben unermüdlich mit uns gearbeitet, sich unseren Fragen gestellt und ihr kreatives Knowhow mit uns geteilt. Das gemeinsame Erschaffen von Figuren und Situationen, sowohl in kleinen Übungen als auch bei der Abschlussproduktion „Marco Polo“, war faszinierend. Zudem waren die Blockseminare und Workshops, in denen uns Wissen über das Puppen-Figuren-Objekt-Theater praktisch und theoretisch vermittelt wurde, sehr inspirierend. Doch eine der schönsten Erfahrungen war, als all das, was wir uns da für „Marco Polo“ ausgedacht haben, mit dem Publikum, den 10-jährigen Zuschauer*innen, aufgegangen ist.
Christoph Levermann: Ich habe unter anderem erfahren, dass „Learning by doing“ für mich am besten funktioniert. Ein konzeptioneller Denkansatz kann nie so gut sein, wie das, was daraus in Zusammenarbeit mit den Spieler*innen während der Proben entwickelt wird; vorausgesetzt natürlich, das Ensemble kann sich für das Projekt begeistern. Eine weitere Erkenntnis ist, dass mich meine Erfahrung als Puppenspieler enorm beim Regieführen unterstützt; auf der anderen Seite ist dieser Perspektivwechsel wiederum sehr hilfreich für meine Tätigkeit als Darsteller.
Was hat sich, euren Erwartungen entsprechend, eingelöst, was hat überrascht oder konnte sich nicht erfüllen?
Otte: Im Prinzip haben sich alle Erwartungen, die ich im Vorfeld hatte, eingelöst. Manchmal hätte ich mir für die einzelnen Seminare oder Workshops mehr Zeit gewünscht, aber das ist wohl ein normales Bedürfnis bei einer solchen Weiterbildung. Wir haben sowohl unterschiedliche Puppentheater und freie Gruppen als auch Ästhetiken, Spielweisen und Erzählformen des Genres kennengelernt. Wir haben von Silvia Brendenal einen komplexen theoretischen Überblick bekommen, haben uns mit Astrid Griesbach aktuelle szenische Arbeiten von Studierenden der Abteilung Puppenspielkunst der HfS „Ernst Busch“ Berlin angeschaut und besprochen. Überraschend fand ich, dass es in der deutschen Theaterlandschaft so wenig Puppentheater für Erwachsene gibt.
Levermann: Überrascht hat mich der große Lerneffekt bei der Regieassistenz, die Teil der Werkstatt war – eine gute Lektion in Sachen Demut. Regie zu führen ist das eine, eine komplette Produktion zu stemmen mit all den Prozessen abseits der Probebühne, ist dagegen eine ganz andere Nummer.
johanna Zielinski: Für mich hat sich in dem letzten Jahr eine neue Welt eröffnet: Ich war erstaunt über die unzähligen Möglichkeiten der Darstellung und der Erzählung, die sich aus dem Zusammenspiel von Spieler*in und Objekt/Puppe ergeben können. Und mir ist klargeworden, dass diese Kunst oft unterschätzt wird. Das zeigt sich ja unter anderem daran, dass es kaum Stoffe gibt, die explizit für das Puppen- und Objekttheater geschrieben werden.
Was ist für euch der Unterschied zwischen Schauspiel- und Puppen- bzw. Objekttheaterregie?
Otte: Was mich am Puppenspiel am meisten fasziniert, ist, wie die Spieler*innen dem Material oder den Figuren/Puppen/Objekten Raum und Zeit, Bewegung und eine Stimme geben und sich selbst dahinter in höchster Konzentration zurückzunehmen.
Zielinski: Und man sollte sich darüber bewusst sein, dass die Puppenspieler*innen neben all den Aufgaben, die auch Schauspieler*innen bewältigen, vor allem die Ebene der Puppe/des Objektes bedienen, selbst wenn dies spielerisch oder inhaltlich voneinander abgekoppelt ist – dass sie also immer mehrere Ebenen von Material und Körper im Blick haben müssen.
Levermann: Ein Hauptunterschied zwischen Schauspiel und Puppentheater liegt für mich in der physischen Beschaffenheit der handelnden Figuren. Den Schauspielkörper als solchen stelle ich nicht in Frage. Bei einer Puppe bzw. einem Objekt, mit dem etwas Lebendiges und Sinnliches behauptet wird, haben das Aussehen und die Zusammensetzung des Materials jedoch eine enorm große, dramaturgische Bedeutung. Woraus und wie wird eine Figur konstruiert, bzw. dekonstruiert? Wodurch wird ihr Leben eingehaucht? Wie ist ihr Verhältnis zu den Puppenspieler*innen? Das sind alles Fragen, die ich mir in der Schauspielregie nicht stelle.
Welche Erzählformen, Ästhetiken oder Spielweisen würdet ihr gerne weiter erforschen?
Otte: Die Kombination aus unterschiedlichen Darstellungsformen finde ich sehr reizvoll: In meiner Geschichte spielten Tanz, Material/Objekt und Maske eine wesentliche Rolle. Diese Interdisziplinarität der Künste wird sich sicher weiterhin in meinen Arbeiten wiederfinden.
Levermann: Ich denke derzeit weniger in Formen. Was mich interessiert, ist die Notwendigkeit, mit der dieser Stoff, in dieser Zeit, an diesem Ort und für dieses Publikum aufgeführt wird. Wichtig ist auch, worin der Mehrwert von Puppen in der szenischen Umsetzung der Thematik liegt. Was kann die Puppe, was ein*e Schauspieler*in nicht leisten kann? Spannend ist der Moment, in dem der menschliche Ausdruck der Darsteller*innen nicht mehr ausreicht und sie zum „Dinglichen“ greifen müssen, um ihr Anliegen zu vermitteln.
Zwei Fragen noch an die beiden an der Werkstatt beteiligten Spielerinnen Ulrike Schuster und Viviane Podlich:
Wie hat sich der Austausch zwischen der Werkstatt Regie und Objekt und euch, den Ensemblemitgliedern des tjg über die Spielzeit hinweg gestaltet?
Ulrike Schuster: Ich hatte das Glück, an vielen Veranstaltungen der Werkstatt als Spielerin teilnehmen zu können. Insofern war ich Gesprächspartnerin, freiwilliges Versuchsinstrument, Reflektierende und Mitlernende. Während der Produktionen, bei denen die Werkstattteilnehmer*innen als Regieassistenz mitgearbeitet haben, war der Erfahrungsaustausch natürlich besonders intensiv.
Viviane Podlich: (...) Auch wenn zwischen den einzelnen Blockveranstaltungen der Werkstatt kaum Austausch möglich war, da alle in anderen Städten, teilweise in anderen Ländern arbeiteten, entwickelte sich ein Gefühl immer tiefer: Wir sind alle Teil der Werkstatt, Lernende und Lehrende zugleich.
Wie war für euch als Spielerinnen die Probenarbeit zur „Marco Polo“ - Inszenierung mit acht verschiedenen Regisseur*innen?
Schuster: Synchronschachspieler*innen müssen sich gleichzeitig auf mehrere Partien konzentrieren und sofort umschalten zwischen den Konstellationen, von denen jede ihrer eigenen Dynamik folgt. So hat sich für mich das Ganze ein bisschen angefühlt. Insofern war mir wichtig, dass die Regisseur*innen ihre Intentionen deutlich formulierten, um als Spielerin schnell einsteigen zu können.
Podlich: Auf jeden Fall herausfordernd. In der Probenarbeit zu „Marco Polo“ lief alles wie im Zeitraffer ab. (…) Manchmal kamen mir die Proben vor wie eine kollektive Arbeit, manchmal so, als wären wir Spieler*innen eine Art Problemlöser für ein nicht schlüssiges Konzept. Aber sich selbst in so kurzer Zeit in so verschiedenen Konstellationen zu erleben, war sehr spannend. Ich glaube, wir sind alle daran gewachsen. – www.tjg-dresden.de – www.hfs-puppe.de
1 worauf auch das Puppentheater Magdeburg im Sommer 2018 mit einer „Masterclass Regie“ und einem Fachgespräch reagiert hatte. Vgl. double 38, S. 37.