Auftritt
Landshut: Zimmerschlacht unter historischem Gebälk
Kleines Theater – Kammerspiele Landshut: „Geächtet“ von Ayad Akhtar. Regie Sven Grunert, Bühne Helmut Stürmer, Kostüme Luci Hofmüller
Erschienen in: Theater der Zeit: Dickicht der Städte – Shermin Langhoff über die Dialektik der Migration (04/2017)
Assoziationen: kleines theater - Kammerspiele Landshut
So könnte ein Witz beginnen: Treffen sich ein Jude, ein Christ und ein Muslim und essen Schweinelendchen. In Ayad Akhtars „Geächtet“ werden ernste Fragen tatsächlich mit Witz verhandelt. Dennoch ist es nicht unbedingt als Pointe zu verstehen, wenn Emily (ambitionierte Malerin, die ihre Karriere mit protestantischem Arbeitsethos verfolgt) ihrem pakistanischstämmigen Mann Amir sowie ihren Gästen, dem Museumskurator Isaac und seiner afroamerikanischen Ehefrau Jory, Schwein servieren will. Vielmehr entwirft Akhtar in dieser New Yorker Tischgemeinschaft, die sich mit Selbstverständlichkeit über Speiseverbote der Glaubensgemeinschaften hinwegsetzt, das Abbild einer sich aufgeklärt wähnenden Gesellschaft, die meint, mit den Restriktionen der Religionen auch alle anderen Schranken überwunden zu haben. Ein Irrtum, wie sich in der zentralen Szene des Stücks zeigen wird, die Akhtar nach dem Erfolgsmodell der „Zimmerschlacht“ gestaltet hat: Mit Alkohol als bewährtem Brandbeschleuniger weitet sich eine zunächst auf Sparflamme köchelnde Diskussion über den Islam zum Flächenbrand – mit verheerenden Folgen.
In Landshut zeichnet Intendant Sven Grunert anfangs eine Idylle. Perlende Klavierklänge hüllen die Szenerie ebenso in wohlige Atmosphäre wie sonnenwarmes Scheinwerferlicht. Emily, die islamische Kunst als Inspirationsquelle für sich entdeckt hat, sitzt am Tisch und zeichnet, während Amir mit Kaffeetasse ins Atelier schlurft, um sich – nach ausgiebigem Kuscheln – für die Arbeit fertig zu machen. Amir ist ein Staranwalt. Unter historischem Holzgebälk im kleinen Theater (das in einem gotischen Stadel residiert) sieht dieses Künstlerrefugium zwar eher nach Spitzweg-Dachkammer aus als nach Loft in Manhattan. Aber egal – entscheidend ist der Eindruck der Harmonie, dem auch die wenigen Misstöne nichts anhaben können, die sich ins Geturtel mischen. Emily möchte, dass Amir sich für einen terrorverdächtigten Imam einsetzt. Amir sträubt sich, zumal er seine religiösen Wurzeln nicht nur gekappt hat, sondern den Islam mit geradezu AfD-verdächtiger Inbrunst verteufelt. Dass er sich schließlich doch überreden lässt und dem Imam bei Gericht beisteht, kommt bei seinen Vorgesetzten in der Kanzlei nicht gut an.
Noch aber scheint die heile Bühnenwelt intakt. Irritation stellt sich allerdings beim Zuschauer ein: Während die meisten Theater Amir mit einem irgendwie als migrantisch erkennbaren Darsteller besetzen (und Jory mit einer Schwarzen), agiert in Landshut ein ausnahmslos weißes Ensemble. Geht das? Natürlich ist Theater Behauptung. Das Argument aber, dass daher jeder jede Rolle spielen könne, hat in der Vergangenheit de facto meist dafür herhalten müssen, dass weiße Schauspieler alles spielen durften, schwarze hingegen höchst selten. So befällt einen angesichts der durchgehend weißen Landshuter Besetzung zunächst Unbehagen. Das allerdings verkehrt sich in dem Moment ins Gegenteil, als auch Amir im Stück eine Kehrtwende vollzieht. Wegen seines Einsatzes für den Imam in die Enge getrieben, lässt sich der glühende Islamkritiker plötzlich zu der whiskeytrunkenen Aussage hinreißen, er habe am 11. September 2001 Stolz empfunden. Allgemeines Entsetzen bei Emily, Isaac und Jory. Schlummert selbst im integriertesten Muslim ein Islamist, der nicht aus seiner Haut kann? Dass Amirs Haut im Fall von Stefan Lehnen weiß ist, erweist sich nun als Coup. So unterscheidet er sich augenscheinlich nicht von den anderen. Womit die Inszenierung betont: Identität ist vor allem eine Frage der Zuschreibung. Nicht die an der Hautfarbe ablesbare Herkunft macht Amir zum Muslim; und nicht sein „wahres muslimisches Ich“ bricht mit einem Mal aus ihm heraus. Im Gegenteil, die Rolle des Anderen samt den entsprechenden Vorurteilen wird so lange vehement an ihn herangetragen, bis er sich nicht mehr dagegen wehren kann. Das ist die kluge Volte von Grunerts Inszenierung.
Der Rest ist solides Schauspielertheater. Im Zentrum: Stefan Lehnen als Amir, der seine Angegriffenheit lange mit offensivem Sarkasmus überspielt, und Louisa Stroux, die als Emily neurotisch um sich selbst kreist. In ihrer Begeisterung für die verspielte Ornamentik islamischer Kunst gefällt sie sich vor allem selbst als weltoffen und verkennt dabei, dass für Amir Religionsfragen rein gar nichts Spielerisches haben.
So ist die Romantik des Anfangs am Ende restlos hinüber. Liebe, heißt es, sei stärker als der Tod. Noch stärker aber sind die Ressentiments, die nicht totzukriegen sind. //