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Die Riesenmarionette
Beim Festival Blickwechsel in Magdeburg beschlossen die Ensembles des ostdeutschen Puppentheaters, künftig die Fäden gemeinsam in die Hand zu nehmen
von Tom Mustroph
Erschienen in: Theater der Zeit: Peter Kurth: Die Verwandlung (09/2016)
Assoziationen: Puppen-, Figuren- & Objekttheater Sachsen-Anhalt Akteure
Puppentheater sei eine „magische Kunst“. Das hört man immer wieder, wenn Menschen, die sich zum professionellen Spielen mit Objekten und Puppen entschlossen haben, sich über die Reize ihres Metiers äußern. Da geht es dann um das Staunen, dass profane Dinge wie Streichhölzer plötzlich belebt, ja mit Seele versehen werden können und die „emotionalen Maschinen“, die wir Menschenwesen ja sind, tief zu berühren vermögen. Analytischere Geister, wie etwa die russische Puppenspielregisseurin und Theaterwissenschaftlerin Anna Ivanova-Brashinskaya, kehren die spirituellanimistischen Grundlagen der Handpuppe heraus, die, mit dem Körper des Puppenspielers direkt verbunden, eher archaische Sachverhalte zu „performen“ imstande ist und damit auch die Verbindung des Menschen zu einer voraufgeklärten Götter-, Geister- und Gefühlswelt aufrechterhält. Beim Symposium Aufbruch, das im Rahmen des Internationalen Figurentheaterfestivals Blickwechsel in Magdeburg stattfand, konnte man sich auch vom Puppenspieldozenten der Ernst-Busch-Hochschule, Markus Joss, hinreißen lassen, als er die Marionette mit all ihren Fäden als ein Netzwerk bezeichnete, an dem eben nicht nur ein Spieler hängen und die Marionette bewegen kann, sondern viele, die, mit Fäden und Marionette verbunden, sich in ein neues, vielköpfiges und vielstimmiges System verwandeln können. Eine neue Ästhetik deutete sich hier an. Und auch die Forderung von Ivanova-Brashinskaya, die Positionen von Spielern und Puppen einmal zu überprüfen und die ästhetischen Potenziale des Überkopf-Spielens von Marionetten auszuloten, klang reizvoll.
Zunächst einmal ging es bei Aufbruch aber um das Knüpfen von Verbindungsfäden untereinander, das also, was neudeutsch Netzwerken heißt. Die acht im Osten Deutschlands befindlichen Ensemble-Puppentheater – Bautzen, Chemnitz, Dresden, Frankfurt (Oder), Gera-Altenburg, Magdeburg, Halle und Plauen-Zwickau – waren allesamt nach Magdeburg zu einer Bestandsaufnahme und zum Kennenlernen eingeladen worden. „Natürlich kennt man die Gesichter und auch einige Namen der Kollegen von gemeinsamen Festivalbesuchen. Aber in der Vergangenheit waren viele doch sehr mit den eigenen Häusern beschäftigt, und man wusste gar nicht, unter welch unterschiedlichen Bedingungen die anderen arbeiten“, schilderte Christoph Werner, Leiter des Puppentheaters Halle, gegenüber Theater der Zeit die Ausgangssituation.
Schnell wurden gemeinsame Problemlagen deutlich. Die lagen nicht beim Geld, selbst wenn die geplante Überführung der Puppentheatersparte Plauen-Zwickau in eine städtische Kulturveranstaltungsagentur am Rande des Treffens auch eine Rolle spielte. Nein, trotz der laut Magdeburgs Intendant Michael Kempchen „permanenten strukturellen Gefährdungslage der Puppentheater“ ging es vor allem um inhaltliche und organisatorische Weiterentwicklung. Einige Ensemble-Puppentheater beklagten etwa, dass die Absolventen der beiden staatlichen Schulen aus Berlin und Stuttgart nur ungern in den Repertoirebetrieb gehen würden und von den Hochschulen auch eher für den freien Markt ausgebildet würden. Weil Vertreter der Schulen in Magdeburg weilten, konnten solche Konflikte aber konstruktiv behandelt werden. Und es stellte sich heraus, dass es durchaus Studenten gibt, die vorrangig nicht als „Kreateure“, also Gestalter eigener Produktionen, sondern als Interpreten, also klassische Ensemblemitglieder, tätig sein wollen. Nur kennen sie die Häuser zum Teil gar nicht, und das eben auch, weil Ensemblevertreter nicht zu den Studienjahrabschlusspräsentationen kommen.
Als erstes Ergebnis von Aufbruch wurden Intendantenvorspiele verabredet – eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber im Überlebenskampf der Puppentheater in den letzten Jahren offenbar vernachlässigt.
Um Absolventen für ihre Häuser zu interessieren, müssen sich aber auch die Theateröffnen. „Sie müssen Formate anbieten, in denen die Studierenden auch agieren können“, forderte Markus Joss. Bei den Theatern, so zeigte sich, besteht trotz objektiver Zwänge aufgrund des Spielbetriebs durchaus die Bereitschaft dafür. Das Puppentheater Magdeburg etwa hat mit dem Café Monaco, benannt nach dem Spielort, einer früheren Turnhalle gleich neben dem Theater, ein Format, in dem die ans Haus geholten Busch-Absolventen Dinge ausprobieren können. „Wir stellen die Infrastruktur. Sie gestalten und bewerben das selbstständig. Sie ziehen mit ihrer Arbeit ein ganz neues Publikum heran, das diese Spieler dann auch in unseren großen Inszenierungen sehen will“, beschrieb Intendant Kempchen ein gelungenes Beispiel. Aber auch bei den Häusern, die solche Formate noch nicht entwickelt haben, war eine in dieser Form und Vehemenz überraschende Sehnsucht nach jungen Spielern da – in der Hoffnung, dass diese nicht nur Ideen von der Hochschule einbringen, sondern auch die Ensembles „aufmischen“ und den routinierteren Kollegen neue Horizonte eröffnen.
Die Initiative zu Aufbruch entstand gerade aufgrund der Erfahrung einer jüngeren Generation, die sich an den alten Strukturen aufreibt und nun Mitstreiter sucht, um die Theater weiter zu verändern, und die auf der anderen Seite danach strebt, die schon gelungenen Entwicklungen auch besser und deutlicher kundzutun.
Kempchen etwa verwies auf Künstler wie Roscha A. Säidow und Moritz Sostmann, die im Puppentheater ihre ersten Regie-Experimente machten und nun von den großen Häusern für Schauspielinszenierungen mit Puppen eingeladen werden. „Das ist eine schöne Entwicklung. Es gibt aber keinen Hinweis auf den Innovationsgeber. Und das wollen wir ändern“, sagt Kempchen selbstbewusst.
Neben der besseren Darstellung steht aber auch die Entwicklung neuer Formate und Techniken im Mittelpunkt von Aufbruch. Während der dreijährigen Laufzeit sollen Laboratorien eingerichtet und Grundlagen für größere Kollaborationen geschaffen werden. Vorbild kann hier Frankreich sein, wo sich die größeren Standorte so weit miteinander vernetzt haben, dass gemeinsame Weiterbildungslehrgänge für Techniker organisiert werden. Das erzählte eine Vertreterin des Theaters in Straßburg.
Umso überraschender war es, dass die Bundeskulturstiftung kurz vor Beginn des Symposiums entschied, diese Initiative nicht zu fördern. Den Auftakt finanzierte daher das Puppentheater Magdeburg selbst – ein Hinweis darauf, wie wichtig den Gastgebern das Projekt ist.
Aufbruch ist auch deshalb bemerkenswert, weil es hier um inhaltliche und strukturelle Weiterentwicklungen geht, die nicht im Rahmen von Spar- und Effizienzplänen gedacht sind, sondern aus den Erfordernissen zeitgenössischer Theaterarbeit selbst kommen. Ostdeutschlands Ensemble-Puppentheater haben mittlerweile offenbar eine solche Souveränität erreicht, dass sie über das Alltagsgeschäft hinaus an eine Zukunft denken können und dabei nicht nur Haushaltspläne im Kopf haben. Ein echter Aufbruch. //