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Die Kunst, ein Produktionshaus zu etablieren
Warum Pirkko Husemann, Künstlerische Leiterin der Schwankhalle Bremen, nach nur fünf Jahren das Haus verlässt
von Jens Fischer
Erschienen in: Theater der Zeit: Cordelia Wege – Schöpferisches Risiko (02/2020)
Assoziationen: Akteure Bremen Pirkko Husemann Schwankhalle Bremen

Wohin mit den performativen Künsten? Diese Frage müssen sich Städte, in denen es Ausbildungs- und Spielstätten, eine Aufführungstradition sowie ein Fach- und Fan-Publikum gibt, nicht stellen. In Bremen indes, wo das Stadttheater der unangefochtene Platzhirsch bühnenkünstlerischer Angebote ist, gibt es all dies nicht. Zwar biete auch das Theater Bremen unter Michael Börgerding Abstecher in die performing arts, aber eben „nur“ Abstecher. Aus diesem Grund sollte die 2003 eröffnete Schwankhalle zu einer Art Klein-Kampnagel mit überregionaler Strahlkraft ausgebaut werden. Mit diesem Ziel wurde Pirkko Husemann, von 2008 bis 2012 Tanzkuratorin am Berliner HAU, im Jahr 2015 zur neuen Leiterin gekürt. Sie holte Promis der Performance-Szene nach Bremen – und fast kein Schwein guckte zu. Durchschnittlich blieben annähernd zwei Drittel aller Plätze leer. Alarmstimmung auch in der Kulturbehörde und Aufregung in der freien Szene vor Ort, die sich ihrer Spielstätte beraubt sah. Husemann stand zwölf Monate nach Dienstbeginn bereits auf wackligem Boden – und justierte nach. In der zweiten Saison 2016/17 waren mehr als zwei Drittel aller Plätze besetzt. 9358 Zuschauer seien zu 154 Veranstaltungen gekommen, diese Zahlen seien seither stabil, so Husemann. Dennoch verlässt die Chefin in diesem Sommer das Haus. Einerseits aus privaten Gründen, ihre Familie wohnt in Brandenburg, andererseits auch aufgerieben durch die finanzschwache Bremer Kulturpolitik. Sie sei nicht initiativ und gestalterisch tätig, es gehe immer nur darum, das Bestehende zu bewahren, beklagt Husemann. Wer Visionen in die Zukunft bauen will, den lässt solch ein Denken in Stagnation wohl resignieren.
Ob Performances in Bremen überhaupt einen Ort brauchen, ist für Husemann keine Frage. Kaum mit Bildungsgepäck beladen, seien sie niedrigschwellige Angebote, die theaterfernen Menschen den Zugang zum Theater ermöglichen. Viele Arbeiten würden allein schon durch die Atmosphäre, die Präsenz der Körper und authentische Ansprache funktionieren. Nicht selbsterklärende, abstrakt formalistische Darbietungen lädt die Kulturmanagerin seit ihrem zweiten Amtsjahr nur noch ein, wenn sie konkret etwas zu sagen haben. Denn zu verkaufen, das hat Husemann von den Hanseaten gelernt, seien Performances nicht über die möglicherweise innovative Ästhetik, sondern über ihre gesellschaftlich-politischen Inhalte. Werde deutlich gemacht, es gehe um queere oder feministische Themen, Inklusion oder Identitätspolitik, kämen auch Besucher. Gut angenommen sei auch das solidarische Preissystem. Jeder Besucher kann frei wählen, ob er sieben, zehn oder 14 Euro investieren möchte, durchschnittlich werden zehn Euro bezahlt.
Die Schwankhalle sollte vor allem Gastspiel- und Produktionsort für bundesweit und international agierende Performer werden, weniger Labor der regionalen Künstler. Da aber gerade deren Produktionen sofort bestens besucht waren, auch weil sie ihr eigenes Publikum mitbrachten, sind diese Spielplanangebote ausgeweitet worden – damit wurde auch etwas gegen die existenzielle Not vieler Bremer Theatermacher getan. „Wir wussten vorher einfach nicht, wie prekär die Arbeitsbedingungen hier sind und dass immer weniger Projekte gefördert werden“, betont Husemann. Ein Viertel des Abendprogramms sei inzwischen Bremer Ursprungs, zehn Prozent würde von internationalen Künstlern gestaltet. Zudem wurde das erst nur geduldete Bremer steptext dance project aufgrund seines Zuspruchs nicht aus dem Haus gedrängt, sondern mit einem festen Nutzungsvertrag ausgestattet. Auch Residenzen – kostenlose Nutzung dreier Proberäume, Infrastruktur, Expertisen der Techniker und Dramaturgen des Hauses – werden zu 75 Prozent lokal vergeben. Mit Erfolg, freut sich Husemann: „Künstlerische Quantensprünge haben das Tanz Kollektiv Bremen und das MusikAktionsEnsemble Klank gemacht, wir sind arm an Geld, aber reich an Räumen und guten Mitarbeitern.“ 15, davon zwölf in Teilzeit, arbeiten festangestellt in der Schwankhalle. Mit 768 465 Euro jährlich fördert die Stadt die Institution, Drittmittel fließen unplanbar, in einem Jahr waren es 15 000 in einem anderen 140 000 Euro.
Das Künstlerhaus liegt idyllisch in einem boomenden Szeneviertel am linken Weserufer – und findet kaum ins Bewusstsein des schauspielgeprägten Bremer Bildungsbürgertums, das verstärkt auf der anderen Seite des Flusses wohnt. Umso bitterer, dass die Kulturredaktion der Bremer Tageszeitungen AG einen „Theater-GAU“ nach dem ersten Husemann-Jahr diagnostizierte und die Berichterstattung über das Haus einstellte. „Die gefühlte Präsenz in der Stadt brach weg, und wir hatten keine Marketingmittel, das aufzufangen“, so Husemann.
Was weiterhin fehlt, ist ein eigenständiges Profil. So überzeugend vielfach die Gäste sind, so verwirrend wird das Spielplanarrangement durch die Vielfalt der Formate. Das Leitungsteam hat sich in die örtliche Kulturszene vernetzt und ist Ausrichter vieler ihrer Veranstaltungen, programmiert auch Konzerte, Lesungen, Vorträge, Filme und Diskussionen. Was aber eben nicht als Marke funktioniert. Das Arthouse unter den Blockbuster-Theatern zu sein, wie Husemann sich das hätte vorstellen können, bleibt kompliziert. Von ihrer Ära aber ist zu lernen: In mittelgroßen Städten wartet kaum jemand auf ein Haus für die performativen Künste; sie trotzdem sichtbar zu machen, funktioniert nicht über ästhetische Verrücktheiten, sondern mit Themen und in Kooperation mit der regionalen Szene.
Ab kommenden Sommer soll nun der bisherige Co-Kurator Florian Ackermann das Haus zwei Jahre im Husemann-Geist interimsmäßig leiten, eine Fokusänderung hat er schon angekündigt: Nach all den feministischen Ansätzen werde nun ein Schwerpunkt zum Selbstverständnis des Mann-Seins initiiert. Die Chefstelle ist vom Trägerverein der Schwankhalle für 2022 ausgeschrieben, versehen mit dem ausdrücklichen Wunsch des Kultursenators, den Bremen-Schwerpunkt beizubehalten. //