Gespräch
Was macht das Theater, Matthias Brenner?
von Dorte Lena Eilers, Christine Wahl und Matthias Brenner
Erschienen in: Theater der Zeit: Kleiner Mann, was nun? – Geschlechterbilder im Theater – Ein Jahresrückblick (12/2021)
Assoziationen: Dossier: Was macht das Theater...? Neues Theater Halle
Herr Brenner, Sie beenden zur Spielzeit 2022/23 vorfristig Ihre Intendanz am Neuen Theater Halle – mit einer bemerkenswerten Begründung: „Ich bin 64“, erklärten Sie in einem Interview mit dem MDR, „und auch ich habe damals die 64-Jährigen angebrüllt: ,Wann sind wir denn mal dran?‘“ Woran genau haben Sie gemerkt, dass es Zeit ist beiseitezutreten?
Als ich jung war, habe ich immer gesagt: Falls ich jemals in eine entsprechende Position an einem Theater käme, würde ich auf der Seite derer stehen, die verändern wollen. In letzter Zeit gab es nun so viele Umstände, die Veränderungen nahelegen – die Flüchtlingswelle, die #MeToo-Debatte und, und, und –, dass ich immer deutlicher herausgerochen habe: Hier gehören Diversität und Aufbruch hinein! Es ging eine spürbare atmosphärische Verunsicherung durchs Haus, auch durch mich selbst. Da wurde mir klar, dass ich nicht die ganze Zeit die große Klappe haben kann, wie toll mein Theater und wie toll das Ensemble ist.
Können Sie das konkretisieren?
Die Unzufriedenheiten in mir und sicherlich auch im Ensemble nahmen zu – in aller Zugewandtheit: Es gab niemanden, der mich herausdrängen wollte. Gleichzeitig merkte ich, wie ich gegenüber unwirtlichen Situationen duldsamer wurde, und dachte: Ich möchte nicht mit dem Job alt werden, sondern ihn jung genug verlassen, um ein anderes Kapitel aufzuschlagen.
Das ist ein hehres Selbstbild, das sicher an die hundert Prozent aller Führungsfiguren Ihrer Alterskohorte begeistert unterschreiben würden – in der Theorie. Kommt es zur Praxis, sieht die Sache meist anders aus. Warum ist Ihnen dieser Schritt tatsächlich gelungen, und warum gelingt er vielen anderen nicht?
Für mich war das Intendantendasein nie das Ende, ich habe mir immer ein Leben danach gegeben. Das ist bei manchen Berufskolleginnen und -kollegen womöglich nicht der Fall. Natürlich weiß auch ich nicht genau, wie es danach weitergeht. Ich habe weder eine Riesen-Netflix-Serie am Start, noch hat mir jemand ein Festival angeboten, das ich am Lebensabend leiten könnte. Aber ich bin Regisseur, Künstler, Spieler – und auch dafür offen, meine unterbrochene Bühnenkarriere wiederaufzunehmen.
Das klingt, als wäre das für Sie wirklich alles ganz einfach!
Nein, auch mir fällt dieser Schritt schwer. Zum einen bin ich – genau wie alle anderen Menschen auch – in der Veränderung dann doch träge, weil ich mich selbst zu richtig finde. Und zum anderen verliert man natürlich ein paar schöne Gewohnheiten (lacht): Als Chef eines Hauses wird man so herrlich nach seiner Meinung gefragt und überhaupt so wunderbar gebauchpinselt! Bei Konflikten werde ich angerufen, soll hierzu meine Meinung sagen und dazu – und natürlich habe ich dann auch zu allem eine und weiß alles ganz genau! Ich glaube tatsächlich, dass viele Angst haben, danach aus diesem System – aus ihrem Leben – herauszufallen.
Wer seinen Posten verlässt, muss auch akzeptieren, dass das, was er selbst – sei es an einem Theater oder in einer anderen Institution – geschaffen hat und was ihm vielleicht sogar als Lebenswerk gilt, nach dem Generationswechsel möglicherweise völlig anders fortgeführt wird. Wir alle kennen prominente Branchen-Beispiele, in denen die alte Leitung das nicht ertragen und der neuen das Leben schwer gemacht hat.
Ich habe einen Intendanten erlebt – ich nenne den Namen jetzt nicht, weil ich ihn gleichzeitig auch sehr verehrt habe –, der dem Publikum für die Phase nach seinem Abgang düsterste Unzeiten prophezeite. Der rief am Ende der letzten Vorstellungen, die unter seiner Leitung am Haus liefen, laut die Namen der beteiligten Schauspieler aus. Die mussten dann einzeln auf die Bühne kommen, sich verbeugen, und er rief immer: Die oder den werdet ihr nie wieder sehen! Das war wirklich ein großes Unglück, was den Kolleginnen und Kollegen dort widerfuhr!
Ihnen werden solche apokalyptischen Auf- oder besser: Fehltritte nicht unterlaufen?
Es gibt ja den Spruch: Die beiden Hauptfeinde des Intendanten sind der Vorgänger und der Nachfolger. Aber ich würde garantiert nicht durchs Haus rennen und sagen: Das ist doch alles scheiße, was meine Nachfolger machen. Wer bin ich denn, das zu beurteilen? Professor Rudolf Penka, mein alter Lehrer an der Schauspielschule in Ostberlin, sagte uns am Beginn unseres Studiums: „Das Blöde am Theater ist: Es ist vergänglich. Und das Schöne am Theater ist: Es ist vergänglich.“ Wir können es nicht festhalten. Auch von Wladimir Majakowski gibt es einen klugen Spruch: „Beamte und Ämter kommen und gehen, die Kunst aber bleibt bestehen.“
Haben Sie für Kollegen wie den Apokalypse-Verkünder, den Sie gerade beschrieben haben, einen Rat?
Loslassen! Loslassen ist Liebe – und die haben die Leute verdient!