Magazin
Zuschauend verführen lassen
Zum Tod der Theaterkritikerin Erika Stephan
von Matthias Caffier
Erschienen in: Theater der Zeit: Kunst gegen Kohle – Ruhrfestspiele Recklinghausen. Intendant Frank Hoffmann (05/2018)
Ende der 1960er Jahre studierte ich an der Theaterhochschule „Hans Otto“ in Leipzig Theaterwissenschaft. Erika Stephan unterrichtete hier im Fach Szenenanalyse. Dabei lernten wir das kleine dramaturgische Einmaleins nicht nur in der Theorie, sondern machten mit ihr auch den Praxistest an prägenden DDR-Theatern. Höhepunkt dieser Exkursionen: Der Besuch von Adolf Dresens Inszenierung des „Faust“ am Deutschen Theater in Berlin. Stephan forderte uns immer wieder auf, das Bühnengeschehen genau zu beobachten und das Gesehene präzis, lustvoll und verständlich zu beschreiben. Eine unbezahlbare Lehreinheit, von der viele ihrer Studentinnen und Studenten ein Berufsleben lang gezehrt haben.
Erika Stephan war an der Leipziger Theaterhochschule bis zu deren Auflösung 1992 als Dozentin tätig. Unter ihren Studierenden genoss sie eine natürliche Autorität. Daneben und danach galt ihre Leidenschaft besonders den Schauspielhäusern in Mitteldeutschland, die sie unermüdlich landauf, landab bereiste und über deren Premieren sie unerbittlich kritisch, aber immer voller Sympathie in den Theaterzeitschriften Theater der Zeit (seit 1967), nach der Wende auch in Theater heute und zuletzt vorwiegend in der Thüringer Allgemeinen berichtete. Stets war sie bereit, sich dabei – wie es in einer ihrer Kritiken hieß – „zuschauend verführen zu lassen“.
Fritz Bennewitz, der Meininger Horst Ruprecht, später Karl Georg Kayser, Wolfgang Engel, Axel Richter und Armin Petras galten ihr als Regisseure eines sinnlich-intelligenten Theaters, wie sie es schätzte. Aufmerksam verfolgte sie auch die hiesige Gegenwartsdramatik, war immer auf Entdeckungen aus: Heiner Müller, Rolf Schneider, Armin Stolper und andere hat sie in einem sogenannten Dramatikerstudio des DDR-Fernsehens beizeiten porträtiert, Alfred Matusche besonders geschätzt. Liest man ihre Rezensionen der letzten Jahre, erstaunt die frische, klare Sprache; Ausdruck einer ungebrochenen Entdeckerlust. Ihre Kollegen und Leser wussten das zu schätzen. Gute Gründe, sie u. a. in die Jury des Berliner Theatertreffens zu berufen, sie Podiumsgespräche moderieren und sachkundige Publikationen verantworten zu lassen, darunter „Theater in der Übergangsgesellschaft“ über das Schauspiel Leipzig 1957–2007.
Am 26. März, zwei Tage vor ihrem 89. Geburtstag, ist Erika Stephan in Leipzig still verstorben. //