Puppentheater im Mittelalter
Neue Sichtweisen
von Kamil Kopania
Erschienen in: Lektionen 7: Theater der Dinge – Puppen-, Figuren- und Objekttheater (10/2016)
Assoziationen: Theatergeschichte Puppen-, Figuren- & Objekttheater
Bisher hat das Mittelalter unter Historikern, Theoretikern und Künstlern des Puppentheaters kein breites Interesse gefunden. So wurden denn auch die verschiedenen beweglichen Figuren, welche in religiösen Zeremonien Verwendung fanden, eher als eine Art Kuriosität denn als eigenständiges Phänomen in der Geschichte des Puppen- und Figurentheaters behandelt. Erst die Arbeiten Henryk Jurkowskis eröffneten schließlich einen neuen Blick auf das Mittelalter und die beweglichen Skulpturen im religiösen Raum, auch wenn er nicht so weit ging, sie als vollwertige Theaterphänomene an sich zu definieren. Jurkowskis anregende Untersuchung provoziert die Frage, ob die von ihm beschriebenen Skulpturen lediglich eine Randerscheinung sind oder doch vielmehr zur Essenz der Theaterkunst gehören.
Die beweglichen Skulpturen Christus auf dem Palmesel (a), des gekreuzigten Christus (b) und des wiederauferstandenen Christus (c) erfüllten Funktionen, die denen eines Schauspielers nicht unähnlich waren. Sie tauchten als Protagonisten religiöser Stücke auf und benutzten dramatisierte oder quasi-dramatisierte Texte. Auch müssen wir die Figur Christus im Grab und Figuren Marias (d) betrachten, die in Zeremonien zu Christi Himmelfahrt benutzt wurden. Ebenso bildeten Krippenfiguren ein bedeutendes Element des sakralen Theatrum. Bei den Figuren des Jesuskindes (e) und der Pietas mit einer beweglichen Figur des Heilands sowie den sogenannten Schreinmadonnen (f) handelt es sich um Figuren, die...