Theater der Zeit

Magazin

Nach vorn, nach hinten

Gabriele Klein (Hg.): Choreografischer Baukasten. Das Buch. transcript Verlag, Bielefeld 2015, 280 S., 29,99 EUR

von Maria Vogel

Erschienen in: Theater der Zeit: Alexander Kluge: Tschukowskis Telefon – Umwege zum Realismus (12/2015)

Assoziationen: Tanz Buchrezensionen

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„Dass man mit Sprache Bewegungen tatsäch- lich nur unzureichend beschreiben kann, sehe ich nicht als Manko. Diese Unmöglich- keit existiert, sie ist aber wunderschön und produktiv.“ So sah es 2008 Nik Haffner, Choreograf und seit 2012 künstlerischer Direktor des Hochschulübergreifenden Zentrums Tanz Berlin, im Interview mit der Soziologin, Tanzwissenschaftlerin und Herausgeberin des „Choreografischen Baukastens“ Gabriele Klein. Haffner meinte allerdings nicht Kleins „Baukasten“, an dessen Entstehung er neben vielen anderen Tanz- und Theaterschaffenden in einer dreijährigen Forschungsphase (2008 bis 2011) beratend und als „Materiallieferant“ mitgewirkt hatte. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Projekt sollte „basales handwerkliches Wissen über Choreografie“ bereitstellen, „unmittelbar praxisrelevant“ sein und die „choreografische Arbeit mit tanzunerfahrenen Menschen“ unterstützen. Herausgekommen war ein Pappköfferchen mit farbigen Modulheften, Praxiskarten und einem Heftlein. Das ist nun noch einmal im preiswerteren Buchformat erschienen, die Problematik jedoch bleibt: Sprache fasst Bewegung nur unzureichend; choreografisches und tänzerisches Wissen, soll es denn in eine Körperpraxis münden, kann kaum ohne diese vermittelt werden.

Das Buch aber, das mit seinem Herzstück, den gutgelaunt-farbigen Modulheftseiten, zeigen will, wie zeitgenössische Choreografie heute funktioniert, setzt allein auf Text. Und der liest sich dann zum Beispiel so: Modulheft „Formgebung“, Kapitel „Form geben“, Unterkapitel „Variieren“, Abschnitt „Bewegungsparameter variieren“, Stichwort „Körper“: „Einen Ausfallschritt einmal mit aufrechtem Oberkörper ausführen und einmal mit Oberkörperneigung und Armbegleitung.“ – Das bitte unbedingt einen tanzunerfahrenen Menschen, der ja die Zielgruppe dieser choreografischen Anleitungen ausmachen soll, ausprobieren lassen! Auch wenn das Buch auf diese Weise einiges an erheiternden Spielmöglichkeiten bieten kann, bleibt unklar, wem es darüber hinaus zu empfehlen wäre. „Formale Improvisationsaufgaben“ wie etwa: „Im unteren Raumlevel Körperskulpturen bilden und diese in Bewegung setzen“ sind mal mehr, mal weniger inspiriert nachvollziehbar, zumal keine weiteren Erklärungen für die mitunter kryptischen Anweisungen gegeben werden. Erfahrene Choreografen, Tanzund Theaterpädagogen dürften hingegen in den oft bis zur Banalität gereichenden Aufgabenstellungen à la „die Wirbelsäue abwechselnd nach vorne, zur Seite und nach hinten neigen“ kaum Neues entdecken.

Gabriele Kleins den Modulheften vorangestellter Essay „Zeitgenössische Choreografie“ versucht daneben im Eiltempo mehrere Jahrhunderte westeuropäischer Tanzgeschichte zu referieren und gerät derart generalisierend, dass er als Einstiegslektüre kaum zu empfehlen ist. Fruchtbarer wäre es gewesen, sich hier beispielsweise kritisch reflektierend mit den pädagogischen, ästhetischen oder auch politischen Wirkungsversprechungen choreografischer Praxis zu beschäftigen und damit umzugehen, dass Choreografie und Tanz auch heute noch mitnichten nur Spiel oder gar körperlose Theorie bedeuten, wie Gabriele Kleins Konzepttanz-Fokus betont. //

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