Theater der Zeit

Auftritt

Schauspiel Frankfurt: Penetration und Selbstakzeptanz

„Das Bildnis des Dorian Gray“ nach Oscar Wilde, ergänzt durch „Dorian Gray (Extended Version)“ von Marcus Peter Tesch (UA) – Regie und Bühne Ran Chai Bar-zvi, Kostüme Belle Santos, Musik/Komposition Evelyn Saylor

von Sabine Leucht

Assoziationen: Hessen Theaterkritiken Ran Chai Bar-zvi Schauspiel Frankfurt

Die ewige Frage nach der (Un-)vergänglichkeit von Schönheit und verstecktem Begehren: „Das Bildnis des Dorian Gray“ nach Oscar Wilde ergänzt durch Marcus Peter Tesch in der Regie von Ran Chai Bar-zvi am Schauspiel Frankfurt.
Die ewige Frage nach der (Un-)vergänglichkeit von Schönheit und verstecktem Begehren: „Das Bildnis des Dorian Gray“ nach Oscar Wilde ergänzt durch Marcus Peter Tesch in der Regie von Ran Chai Bar-zvi am Schauspiel Frankfurt.Foto: Robert Schittko

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„Mäh!“, blökt er wie ein Schäfchen. Seine Hände hat er vor dem Körper angehoben, während er auf zarten Silberschläppchen in den Raum hoppelt, in dem gerade von ihm die Rede war. Ach, was heißt „die Rede“. Geschwärmt hat der Maler Basil von seinem Modell Dorian Gray, das ihm „absolut notwendig“ geworden sei. In dem Bild, das er in langen und köstlichen Sitzungen von ihm erschaffen habe, läge mehr von seiner eigenen Seele als in jedem anderen zuvor. Dass es sich hier um eine astreine Liebeserklärung handelt, daran lässt Ran Chai Bar-zvis Inszenierung keinen Zweifel. Und dass Basils Freund Henry schon allein von diesen Elogen ganz spitz auf den Jüngling ist, ist auch gleich klar. 

In dieser Situation kommt Mitja Over mit besagtem Hausschaf-Rollenspiel um die Ecke. Mit einem wolligen weißen Top über dem nackten Oberkörper und all der Harmlosigkeit und – nun ja: Belämmertheit, die man der domestizierten Form des Mufflons nachsagt. Das ist nicht ganz das, was man als Zuschauer:in erwartet hat, scheint die zwei auf der Bühne aber nur ganz kurz zu irritierten. Schließlich gibt das, was man von der „rosaroten Jugend“ des vermeintlichen Unschuldslamms sehen kann, keinen Grund zu Beanstandungen. Und so kommt es in den Kammerspielen des Schauspiels Frankfurt schnell zu einem halb-einvernehmlichen Dreier, in dem Miguel Klein Medina als Basil, Stefan Grafs Harry und der junge G(r)ay in einem pinken Lichtkegel verschiedenfarbige Schatten werden. Dazu künden die Eurythmics aus dem Off von „Sweet Dreams“, die aus Ritualen der Unterwerfung gemacht sind.

Wenig überraschend hat der 1989 in Jerusalem geborene Bühnenbildner und Regisseur, dem 2024 für die Uraufführung von Kim de l’Horizons „Blutbuch“ der Kurt Hübner-Regiepreis verliehen wurde, Oscar Wildes einzigen Roman in ein queeres Milieu katapultiert. „Das Bildnis des Dorian Gray“ gibt das problemlos her, auch wenn das 1891 erschienene Buch – das auch Gegenstand des gegen Wilde verhängten „Unzuchtsprozesses“ war – vor allem vom blendenden Reiz der Oberfläche handelt, von den Schattenseiten des Hedonismus und von der Dekadenz der britischen Oberschicht, die sich beidem ergibt.

In ihrem ersten Teil folgt Bar-zvis Inszenierung in groben Zügen der Vorlage, wobei Handlung wie Personnage auf die drei Hauptfiguren zurückgeschnitten wurde. Jede Interaktion mit der Außenwelt ist ihnen genommen. Die vom Regisseur selbst entworfene Bühne mit einer Wand aus hellem Holz, die sich in einem nach hinten schmaler werdenden Kasten dreht, ist eine Art Huis clos für diese einander ausgelieferten Drei und zugleich ein neutraler Rahmen für die exzentrischen Kostüme, die Belle Santos ihnen auf die Leiber geschneidert hat. Harry und Basil tragen hochhackige Lackstiefel, die bis zur Mitte der Oberschenkel reichen und lange Handschuhe aus demselben Material. Ihre Garderobe glitzert und zitiert mit gelben und pinken Flecken, Umhängen und Stolen queere Farb-Codes und den Stil des Camp, während Dorians unschuldig-weißes Outfit nach und nach mit sündig roten Accessoires angereichert wird.

Harry oder Lord Henry ist im Buch ja derjenige, dessen galantes Geplauder in dem jungen Dorian den Stachel der Eitelkeit pflanzt und damit den Wunsch, sein Bildnis möge die Spuren der Zeit und seiner Verfehlungen tragen, damit er selbst ein äußerlich unbeschriebenes Blatt bleiben kann. Bei Graf ist dieser Apologet des Dandytums und der Sinnenfreude negativer geframed: Ein mephistophelischer Sugardaddy, der zentrale Sätze wie „Nur oberflächliche Menschen urteilen nicht nach dem äußeren Schein“ als Aphrodisiakum und Sedativum zugleich austeilt. Dass er selbst bereits Bekanntschaft mit dem Nachlassen der äußeren Attraktivität gemacht hat, macht jene Szene überdeutlich, in der der gealterte Harry unter der schieren Üppigkeit seines Glitters und Tands kaum noch gehen kann.

So, wie Mitja Over die Titelrolle spielt, bleibt Dorian ein flacher Charakter. Nicht böse, aber ohne tiefes Gefühl und echtes Interesse für irgendetwas außer ihm selbst. Nur einmal leuchtet sein Gesicht kurz auf, als er von der Schauspielerin Sibyl Vane erzählt. Aber sie räumt die Eifersucht der anderen und die von Ran Chai Bar-zvi und seinem Dramaturgen Lukas Schmelmer stark gekürzte Spielfassung ebenso umstandslos aus dem Weg wie das Gros der moralischen Verwerfungen und Exzesse, die auf das Bildnis abfärben sollen. Fast wundert man sich deshalb, dass es hinter der hellen Holzwand ächzt, würgt und schmatzt, als stünde etwas Monströses kurz vor dem Ausbruch.

Sehen lässt es uns Bar-zvi allerdings nie. Das Bildnis wird auf andere Weise enthüllt: In einem Monolog des Dramatikers Marcus Peter Tesch, den sich die drei Schauspieler am Ende des Abends teilen, geht es um „das Ding“, worunter man das schrecklich verwandelte Gemälde oder vielleicht auch etwas ganz anderes verstehen kann. Obszönität, Witz und rätselhafte Bedeutung gehen hier eine besondere Verbindung ein und die drei Akteure holen die zuvor etwas zu kurz gekommene Leidenschaft und Verspieltheit nach – die laut Susan Sontag auch zu Camp gehört. Hoch geht es her und mit der furiosen Rede von „Pe-N-Tra-Tion“ als „liebe-volle, für-sorgliche Form des sich gegenseitigen brutalen HINEIN-STOPFENS“ auf eine orgiastische Klimax zu. Das klingt ganz schön verdorben, läuft aber am Ende auf die Pointe hinaus, dass Selbstliebe und Selbstakzeptanz der heiße Scheiß ist, wenn man die ersten Fältchen bekommt. Zwar wird das Drumrum um die Fältchen so drastisch beschrieben, dass man es nicht ganz glaubt, aber sweet ist das irgendwie schon.

Erschienen am 16.12.2025

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