Theater der Zeit

Kommentar

Die Heterotopien erhalten

Warum an der Freien Szene zu sparen zu viel kostet

von Heinrich Horwitz

Assoziationen: Freie Szene Debatte Dossier: Kulturkürzungen Festspielhaus Hellerau Künstlerhaus Mousonturm Forum Freies Theater (FFT) Kampnagel Hebbel am Ufer (HAU)

Heinrich Horwitz beim Pressegespräch im HAU, bei dem Künstler:innen die von Heinrich Horwitz initiierte Petition „An der Freien Kunst zu sparen, kostet zu viel“ vorstellten. Foto Dorothea Tuch
Heinrich Horwitz beim Pressegespräch im HAU, bei dem Künstler:innen die von Heinrich Horwitz initiierte Petition „An der Freien Kunst zu sparen, kostet zu viel“ vorstelltenFoto: Dorothea Tuch

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Ich bin Regisseur:in, Choreograf:in, Performer:in, ich arbeite in der Freien Szene, an Institutionen wie Stadt - und Staatstheater, manchmal im Film und Fernsehen. Ich bin weiß, queer, trans, abled bodied, jüdisch und deutsch. Aktivist*in für queere Gleichstellung, Mitunterzeichner:in des ActOut Manifests und seit kurzem auch Aktivist:in für die Erhaltung der Freien Künste. Ich habe am 31. Juli 2024 die Petition gestartet „An der Freien Kunst zu sparen, kostet zu viel!“ – die mittlerweile über 35.000 Unterzeichner:innen findet. Wie bereits in der Petition formuliert, braucht es in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung und anwachsenden antidemokratischen Kräften, gestärkte Freie Künste, die ästhetisch und kulturell für Freiheit und gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit stehen. Die Petition ruft dazu auf, das Vorhaben, die Gelder der Bundeskulturfonds zu halbieren und die für das Bündnis internationaler Produktionshäuser zu streichen, abzuwenden. 

Die große Resonanz auf die Petition belegt das öffentliche Interesse, das die Freien Künste auch in der Breite der Gesellschaft erreicht; wie stark ihre bundesweiten und auch internationalen Wirkungen sind. In einer Zeit, in der Diversität und Gleichstellung von Personen mit Marginalisierungserfahrungen, Intersektionalität und Gemeinschaftsbildung in den Fokus von Medien, Gesellschaft und Kultur rücken, erleben wir gleichzeitig einen starken Backlash, Gewalt und Retraumatisierung. Wir brauchen die Freien Künste, um an einer zukunftsweisenden heterogenen Gesellschaftsbildung arbeiten zu können, um unhörbare Stimmen zu verstärken, Schutzräume zu schaffen, Sichtbarkeit zu erzeugen und um Diskriminierung entgegenzuwirken. Die Freien Künste sind Begegnungs - und Schutzräume, bilden die Gesellschaft in ihrer Vielfalt ab. Ihnen wohnt die Möglichkeit inne, Utopien zu entwerfen, Zugewandtheit zu bewahren und Diskursräume zu erhalten, die (nach dem 07. Oktober 2023 nochmal verstärkt) mehr und mehr verschwinden. Diese und andere Sätze habe ich auch in der Pressekonferenz am 02.09.2024 im Hau 2 ausgesprochen. An diesem Tag durfte ich neben 20 Kolleg:innen stehen, die alle ihre eigene, wie auch die gesellschaftsrelevante Wichtigkeit der Freien Künste zum Ausdruck brachten. Ein Raum voller Zukunft, Zuversicht, Kraft und Empowerment. Verschiedenste Menschen, die sich solidarisieren, sich Trost und Halt spenden, die ihre Herzen aufmachen und damit alle zu Aktivist:innen werden. Für eine Szene, die ohnehin bereits prekär ist, „wir sind nicht reich geworden“ sagt Ilia Papatheodorou von She She Pop, politisieren wir uns unentgeltlich. Eine Szene, die scheinbar völlig unabhängig von der kapitalistischen kommerziellen Ordnung, Zugehörigkeit und Gemeinschaft kreiert. Eine Heterotopie. 

Dieser von Foucault geprägte Begriff bezeichnet Orte in der Gesellschaft, in denen Utopien erlebbar werden, Orte, die wandelbar bleiben, die Unvereinbares zusammenbringen können. Foucault nennt auch Theater Heterotopie. Für mich sind die Freien Künste meine Heterotopie. In einer Gesellschaft, in der wir Rechtsruck, Gewalt und Abgrenzung voneinander verstärkt erleben, in der Menschen verstummen, in der es an sicheren Begegnung und Räumen zum Austausch fehlt, ist die Androhung, eine dieser Heterotopien zu verkleinern oder gar ganz zu streichen, absurd. Nicht zuletzt, weil Prozesse inwendig und auswendig mikroskopiert werden können. So sind die Freien Künste auch Orte von Konfrontation, von dem Versuch, den Finger in die Wunde zu legen, sich dem Phänomen des Hasses zu zuwenden, sich den (eigenen) Privilegien kritisch zu stellen, Reflexion – auch des eigenen Schaffens – zu wagen. Diese Form des Befragens erscheint mir einmalig. Die Freien Künste sind Orte des Suchens und des Wagnis, sie repräsentieren wichtige Bevölkerungsgruppen, die sich in anderen Kulturorten nicht wiederfinden, sie erzählen die Geschichten derer, die immer wieder nicht gesehen werden und bleiben dabei auch Orte der Freude.

„Nirgendwo sonst wird so konsequent an der Internationalisierung gearbeitet, am Einbezug bislang unterrepräsentierter Gruppen, an der Ausrichtung an den Maximen von Nachhaltigkeit, Inklusion und Teilhabe“, sagt Professor Dr. Nikolaus Müller-Schöll und Ariel Efraim Ashbel ergänzt: „Making space for all of us, no matter how weird we might appear, or how much we disagree and challenge each other, is what our free scene houses do best. And that is why, for many of us who’d otherwise be homeless, they’re not mere houses but homes.“ Die Kürzung der Gelder tut denjenigen weh, die es ohnehin schwerer haben – macht die Menschen unsichtbar, die ohnehin um Sichtbarkeit kämpfen, verflacht und verengt das Denken und Träumen einer einmaligen Kulturszene, und damit ja auch der Gesellschaft. Ich appelliere an die Verantwortung und an die Solidarität – „Unsere Arbeit im Theater ist, Probleme zu markieren, wo scheinbar keine sind. Also mehr als Aufklärung würde ich sagen: erstmal da hinzeigen!“ (René Pollesch) 

Erschienen am 6.9.2024

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