Theater der Zeit

Gespräch

Was macht das Theater, Salomon Bausch?

von Salomon Bausch und Tom Mustroph

Erschienen in: Theater der Zeit: Oliver Bukowski: „Warten auf’n Bus“ (01/2022)

Assoziationen: Nordrhein-Westfalen Tanz Dossier: Was macht das Theater...?

Anzeige

Anzeige

Salomon Bausch, welchen Umfang hat das gerade eröffnete Pina Bausch Archiv?

Es handelt sich um ungefähr 300.000 fotografische Objekte und etwa 9000 Videos. Hinzu kommen Kostüme, ­Bühnenbilder und Regiebücher meiner Mutter. Das Online-Archiv umfasst etwa 1,5 Petabyte Daten, das sind 1500 Terabyte.

Beeindruckend. Im Online-Archiv sind aktuell aber lediglich 31 Videos und 1330 Fotos zugänglich. Ist es jetzt ein Zwischenstand der Digitalisierung oder Resultat einer Auswahl?

Es handelt sich um eine Mischung aus verschiedenen Faktoren. Die Digitalisierung der Videobänder ist fast vollständig abgeschlossen. Das ist eine Frage des Substanzerhalts. Aber es ist bei Weitem nicht alles bewertet und erschlossen. Wir arbeiten mit jetzigen und ehemaligen Tänzer:innen zusammen und suchen aus, welche wirklich die guten Bänder sind, die es sich zu zeigen lohnt.

Nach welchen Kriterien gehen Sie da vor?

Es ging um künstlerisch gute Vorstellungen und technisch gute Aufzeichnungen. Es ging uns auch darum, eine gewisse Bandbreite an Vorstellungen zu zeigen, die über die vielen Jahre hinweg an verschiedenen Orten mit verschiedenen Besetzungen entstanden sind. Als Ausgangspunkt haben wir uns drei Stücke vorgenommen: „Fritz“, das allererste Stück in Wuppertal, dann „Café Müller“, eines der wenigen Stücke, in dem auch meine Mutter tanzt, und dann „Palermo, Palermo“ von 1989. Das soll sich natürlich er­weitern.

Wie ist die Verlinkung der einzelnen Objekte ­untereinander?

Darauf haben wir großen Wert gelegt. Wir benutzen eine recht junge, aber auch sehr effektive Technologie: linked data. Bei Fotos zum Beispiel sind alle abgebildeten Personen getaggt. Man kann sich die Namen anzeigen lassen, daraufklicken und kommt zur Bio­grafie. Das funktioniert noch nicht bei allen Personen, aber es ist im Aufbau. Auch die Kostüme sind verlinkt. Bei den Videos werden die Personen, die im Video zu sehen sind, daneben eingeblendet. Das Gleiche gilt für die Szenen und teilweise auch die Musik. All das ist verlinkt und anklickbar.

Für wen ist das Archiv gedacht?

Es soll wirklich allen Interessierten zugänglich sein. Wir haben uns entschieden, auf eine gut verständliche Sprache zu setzen, um keine Barriere aufzubauen. Ich glaube, die Stücke meiner Mutter lassen sich sehr gut ohne Vorkenntnisse und besondere Seherfahrungen erschließen. Das ist auch ein Grund für den internationalen Erfolg. Die Leute konnten etwas mitnehmen auch mit ganz unterschiedlichem kulturellem Hintergrund. Und das wollen wir nicht durch einen komplizierten Zugang zum Archiv verstellen. Auch die Bedienung der Website ist sehr intuitiv. Man kann nach speziellen Dingen suchen, sich aber auch einfach nur treiben lassen.

Sie sind von Hause aus Jurist. Wie haben Sie die Rechtefragen gelöst – in Bezug auf die Urheber, aber auch, was die Benutzung der Materialien angeht und auch eine Nachnutzung im Sinne von choreografischen Rekonstruktionen der Stücke auf der Bühne?

Wir haben von allen Urhebern und ­allen, die abgebildet sind, die Rechte eingeholt. Das gilt auch für die Musik. Aber die Rechte sind beschränkt auf die Nutzung auf der Website. Downloads sind nicht möglich, aber wir haben alle Kontaktdaten der Fotografen hinterlegt. Einzelne Stücke haben wir mit anderen Compagnien einstudiert. Bereits meine Mutter hatte damit begonnen. Unser Hauptziel ist es, die Stücke lebendig zu halten, einerseits für das Publikum, andererseits für die Tänzerinnen und Tänzer. Für sie hat es eine große Bedeutung, diese Stücke zu tanzen, und mit den Menschen, die sie mit entwickelt haben, zusammenzuarbeiten. Da bekommen wir viel tolles Feedback.

Welches ist Ihr Lieblingsobjekt im Archiv?

Das ändert sich immer wieder. Manchmal habe ich eine ganz tolle Erinnerung an etwas, aber dann ist das gar nicht mehr so, wie ich dachte, und ein anderes Mal entdecke ich Sachen ganz neu für mich. Was mir immer in Erinnerung bleibt, ist das Stück „1980“. Da hat der Bühnenbildner Peter Pabst die gesamte Bühne mit Rasen bedeckt. Dieser Geruch, wenn man in den Zuschauerraum kommt – das ist sehr besonders für mich.

Jetzt nennen Sie ausgerechnet etwas, was schwer zu archivieren ist!

Ja, man darf sich nicht vertun! Das Archiv ist toll. Aber es ersetzt nicht das Liveerlebnis auf der Bühne. Deshalb ist es für uns auch so wichtig, dieses Bühnenerlebnis immer wieder zu ermöglichen. //

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"
Recherchen 163 "Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny  im Spiegel von Mythos und Religion"
Passionsspiele Oberammergau 2022
"Theater der Vereinnahmung"
Recherchen 156 "Ästhetiken der Intervention"
"Pledge and Play"