Zirkuskunst in Berlin um 1900: Längst vergangen und verschwunden? Was hat das mit Heute zu tun?
von För Künkel und Mirjam Hildbrand
Erschienen in: Zirkuskunst in Berlin um 1900 – Einblicke in eine vergessene Praxis (02/2025)
Während unserer Recherchearbeit in diversen Archiven stießen wir in den Werbeteilen von Artistik-Fachzeitschriften aus der Zeit um 1900 auf zahlreiche Anzeigen von Künstler:innen. Unzählige freischaffende Artist:innen traten um 1900 als Solokünstler:innen, als Duos, Trios oder auch in größeren Formationen in Berlin auf. Sie spielten in längst vergangenen und verschwundenen Spielstätten wie Circus Renz, Circus Schumann, Circus Busch, im Wintergarten, in Theatern mit den Namen Apollo, Belle-Alliance, Central, Walhalla oder im berühmten Berliner Überbrettl und in zahlreichen Festsälen, Tanzlokalen sowie auf Sommerbühnen. Diese freischaffenden Künstler:innen bewegten sich gekonnt zwischen verschiedenen Bühnen und Aufführungsformaten, die bis heute im akademischen Kontext als nicht untersuchenswert empfunden werden. Denn die Arbeits- und Auftrittsorte dieser Künstler:innen galten und gelten bis heute als Stätten der sogenannten niederen Künste und ihre Praxis schlichtweg als Nicht-Kunst. Die Anzeigen in den Fachzeitschriften belegen auch, dass sich diese Künstler:innen nicht nur über die Gattungsgrenzen hinweg bewegten, sondern ohnehin äußerst mobil waren: Sie arbeiteten transnational und interkontinental und waren in neu gegründeten, teils international vernetzten Berufsverbänden organisiert. Länder- und kontinentübergreifende Vernetzung sowie eine mehrsprachige Berufspraxis gehörten für Artist:innen um 1900 also zum Selbstverständnis. In ihrer künstlerischen Praxis wagten sie oftmals technische und gesellschaftliche Experimente. Dinge, die wir in der Regel bekannten Avantgarde-Künstler:innen...