Report
Quer zu Redeverboten
Wajdi Mouawads „Le Serment d’Europe“ in Epidaurus, das antike Erbe und die Macht der Poesie
von Eberhard Spreng
Erschienen in: Theater der Zeit: KI – Künstlerische Intelligenz? (09/2025)
Assoziationen: Theaterkritiken Europa Wajdi Mouawad

„Jetzt ist für mich der Moment des Blutvergießens gekommen“, sagt Wajdi Mouawad Anfang Februar dieses Jahres im großen Hörsaal des ehrwürdigen Collège de France, bittet eine Krankenschwester zu sich aufs Podium, lässt sich einige Röhrchen Blut abnehmen, das er anschließend auf Gesicht und Hemd verschmiert. Die Blutperformance soll eine Literatur authentifizieren, deren Entstehung ohne die Schrecken und das Blutvergießen des libanesischen Bürgerkriegs nicht zu denken ist.
Der Lehrstuhl „Die Erfindung Europas in Sprachen und Kulturen“ hatte den Autor, Schauspieler und Regisseur zu einer mehrteiligen Vorlesungsreihe in der Pariser Institution eingeladen. Diese Poetikvorlesung, die mit Mouawads Meditation über den „inneren Schatten, der in uns schreibt“ begann, ist das Highlight im diesjährigen Lehrprogramm der Einrichtung. In diesem achteiligen, zugleich biografischen und philosophischen Essay fantasierte der Autor mit einem für den Wissenschaftsbetrieb unüblichen Elan über einige Verben und deren Hallräume in seiner metaphorisch und allegorisch aufgeladenen Dramatik. Dabei kehrt er auch immer wieder zu Schlüsselerfahrungen seiner Biografie zurück. Die Wichtigste: Als Siebenjähriger steht er auf dem Balkon der elterlichen Wohnung im christlichen Beiruter Stadtteil Ain el-Rammaneh und muss mit ansehen, wie ein Kleinbus von Milizionären angehalten und dessen palästinensische Insassen erschossen werden. „Am Ende entstand eine unheimliche Stille, ich habe nicht geschrien, sondern...