2.2 Beyond Semiotics – das Wechselspiel von Repräsentation und Präsenz
von Clemens Risi
Erschienen in: Recherchen 133: Oper in performance – Analysen zur Aufführungsdimension von Operninszenierungen (08/2017)
Der Erforschung der besonderen Eigenarten der theatralen Aufführung hat sich seit ihren Anfängen als akademische Disziplin die Theaterwissenschaft gestellt. Nach dem anfänglichen und heute verworfenen Paradigma der Rekonstruktion von Aufführungen1 war seit den siebziger Jahren die semiotisch orientierte Aufführungsanalyse lange Zeit die maßgebliche theoretische Richtung für die Auseinandersetzung mit der spezifischen Verfasstheit ihres Gegenstands, der Aufführung. Dem Theorem „Kultur als Text“ folgend, verstand sie die Aufführung als systematisch strukturierten, lesbaren Text. Als eines der großen Verdienste der Theatersemiotik gilt die systematische Einteilung der am theatralen Prozess beteiligten Elemente als Voraussetzung für die Versprachlichung und Verschriftlichung der flüchtigen theatralen Ereignisse. Erstmals 1968 von Tadeusz Kowzan zusammengetragen und von Erika Fischer-Lichte 1983 systematisch ausgeführt, versteht man darunter 14 Kategorien oder – semiotisch gesprochen – Zeichensysteme: Wort, Intonation, Mimik, Geste, Bewegung durch den Bühnenraum, Schminke, Frisur, Kostüm, Requisiten, Dekoration, Beleuchtung, Musik, Geräusche, Raumkonzeption.2
Der erste Schritt bei der semiotischen Analyse ist die Segmentierung, die Einteilung in kleinste bedeutende Einheiten (einzelne Gesten, einzelne Schritte, einzelne Lichtwechsel etc.). Die Aufführung wird transkribiert und damit in Einzelmomente zergliedert,3 mit dem Ziel, für jeden Moment die an der Aufführung beteiligten Zeichen und Zeichenkombinationen benennen zu können. Jedem einzelnen Zeichen wird im Prozess der Semiose...