Haupt- oder Nebenrolle? Wer Melanie Lüninghöner auf der Bühne erlebt, wird diese Frage als zweitrangig einstufen. Eine Position am Rand des Geschehens bildet häufig den Ausgangspunkt ihres Spiels. Sei es als Teiresias im Freiburger „Ödipus“ (2015, Regie Felicitas Brucker), sei es als Snejana in Thomas Krupas Inszenierung von Peter Handkes dramatischen Epos „Immer noch Sturm“ (2015). Genau beobachtet sie die Szenerie. Ihr ganzer Körper lässt ihre starke innere Beteiligung einsehbar werden, bevor diese geäußert wird. Melanie Lüninghöners Figuren wissen, woher sie kommen, wenn sie ins Zentrum treten. Das ermöglicht ihr, Position zu beziehen. Häufig auf der Ebene verstörender Alterität.
Da ist ihre Stimme, kehlig und tief. Ihr vibrierender Klang füllt das Große Haus in Freiburg bis zum 856. Platz im zweiten Rang aus. Klar und doch different, ambivalent in jedem Ton, mit der Fähigkeit, ein orchestrales Crescendo über die Vokale in einen leise begonnenen Satz zu intonieren. Emotional berührend. Da ist ihr Gang, ruhig und klar, jede Bewegung durchdacht; ihre Mimik, die Zuneigung und Abscheu nahezu gleichzeitig zu versinnbildlichen vermag. Und da ist, wenn sie auf ihre Mitspieler trifft, das Spiel ihrer Hände: Wenn sie als Teiresias König Ödipus gegenübersteht, streicheln ihre Hände beinahe zärtlich dessen Gesicht, um es dann...