Theater der Zeit

Auftritt

Neues Theater Halle: Antike Küchenschlacht

„Penthesile:a:s“ von MarDi (DEA) – Regie Sandra Hüller und Tom Schneider, Bühne und Kostüm Nadja Sofie Eller, Musik Moritz Bossmann

von Lara Wenzel

Assoziationen: Sachsen-Anhalt Theaterkritiken Tom Schneider Sandra Hüller Neues Theater Halle

Penthesile:a:s als Kollektiv aller Frauen in MarDis Überschreibung am neuen theater Halle in der Regie von Sandra Hüller und Tom Schneider. Foto Falk Wenzel
Penthesile:a:s als Kollektiv aller Frauen in MarDis Überschreibung am neuen theater Halle in der Regie von Sandra Hüller und Tom SchneiderFoto: Falk Wenzel

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MarDis starke Verse legen sich über eine häusliche Szene. Heute Abend findet der trojanische Krieg um eine Kücheninsel statt. Während ein unsichtbarer Chor die epische Neudichtung um Penthesile:a:s und Achill:e:s spricht, beobachtet das Publikum die Zubereitung einer Suppe. Antike Weltpolitik und private Lebensführung, poetische Sprache und ordinäre Handgriffe verschmelzen miteinander. „Das Private ist politisch“, der Slogan der zweiten Frauenbewegung, ist dieser Bühnenkonstellation eingeschrieben.

Das Regiedebüt von Sandra Hüller gemeinsam mit Kollegen Tom Schneider ist eine doppelte Überschreibung des Kleist’schen Dramas um die Amazonenkönigin. In der Interpretation der französischen Autorin MarDi wird Penthesile:a:s zum Kollektiv aller Frauen, das vom Ensemble des neuen theaters in Halle ihre Stimme erhält. Die Kriegerinnen haben „Den endlosen Kreislauf der Traditionen zermalmt / Uns von der Ordnung der Götter losgesagt / Von der Ordnung der Männer.“ Jetzt bringen sie Männer um, aber lösen können sie sich nicht von ihnen. „Sie waren in der Struktur ihrer Sprache / Im Inneren ihrer geplünderten Körper / Im Inneren ihrer Münder / Ihrer Geschlechter.“ Sie üben Rache, aber sind dennoch im Phallogozentrismus gefangen. Jedes Wort, das sie sprechen, hat Anteil an der patriarchalen Ordnung.

Zwischen dem chorischen Sprechen und dem stummen, idyllischen Bild der Küche, das durch eine Guckkasten-Konstruktion gerahmt wird, klafft ein Spalt. Die Schilderungen von hingerichteten Männern und an Hunde verfütterte Kinder übersetzen sich nicht in die Szene. Gesittet wechseln sich dort die Spieler:innen ab, schneiden Möhren und Zwiebeln und waschen sich vor dem Kochen sorgfältig die Hände. In das hyperrealistische Bühnenbild, entworfen von Nadja Sofie Eller, dringen jedoch zunehmend surrealistische Einfälle: Eine Frau fällt zu Boden und niemand schaut sich nach ihr um. Eine andere steigt in das Waschbecken und wässert die Blumen, die aus ihren Knöcheln wachsen. Sowohl der Text als auch die Küchenszene verlieren ihren logischen Zusammenhang. Schließlich steigt eine Spielerin aus dem Rahmen, durch den das Publikum die Kochenden beobachtet. Sie überschreitet die fiktionale Grenze und beginnt zu sprechen.

Der strenge Versuchsaufbau – ein Chor mit dem Rücken zum Publikum aus dem sich stumme Spieler:innen lösen und in den Bühnenraum treten – zerfällt. Zwischen dem zwölfköpfigen Ensemble wandert das Mikrofon. Penthesile:a:s und Achill:e:s gibt es nicht mehr. Mit der veränderten Sprache des Stücks breitet sich ein Netzwerk, ein Pilzgeflecht, ein Schaltkreis, ein Wir auf der Bühne aus. „SCHWAMMIGE HORDEN MINERALISCHE TRIBADEN ÜPPIGE ÜBERBORDENDE ANIMALISCHE ROTTEN.“ Der Endmonolog wirkt wie ein Best-of des Poststrukturalismus, den das Ensemble merkwürdig monoton vorträgt. Alles ist verbunden, masturbiert und vegetiert jenseits des Kapitalismus – dann gibt es Suppe.

In „Penthesile:a:s“ setzen Schneider und Hüller ihre Auseinandersetzung mit dem Patriarchat und Kapitalozän fort, die sie bereits in Produktionen wie „The shape of trouble to come“ begannen. Seit 2016 arbeiten sie unter anderem mit Musiker Moritz Bossmann, der auch für diesen Abend die Musik komponierte, im FARN Kollektiv zusammen und entwickeln Performances nach Texten von Donna Haraway und Ursula K. LeGuin. Vor diesem Hintergrund wirkt die erste Inszenierung von der Oscar-nominierten Schauspielerin Sandra Hüller weniger wie ein Novum. Vor allem ist es die Fortsetzung eines Arbeitszusammenhangs, der das Kollektive in den Vordergrund stellt. Die Communitas, die der Text in der zweiten Hälfte aufruft, breitet sich konsequent auch auf das Publikum aus. Eine lange Tafel, die man so nur aus der Werbung kennt, wird zum Suppe Fassen gedeckt. Eine Welle utopischen Kitsches spült die blutigen Schlachten des Patriarchats fort. Die Unmöglichkeit eines weiblichen oder queeren Sprechens, die männliche Zurichtung Achilles, die Wut Penthesileas löst sich im Eintopf auf. Alles scheint sich in Wohlgefallen zu verflüchtigen, nur eine ungewollte Sozialkritik bleibt, denn von den 250 Besucher:innen finden die meisten keinen Platz an der Tafel. Nur der Premierensekt ist für alle da.

Erschienen am 22.4.2025

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