Die Oper: eine unzeitgemäße Kunstform
von Marc Jimenez
Erschienen in: Recherchen 113: Die Zukunft der Oper – Zwischen Hermeneutik und Performativität (06/2014)
Assoziationen: Musiktheater
Patrice Chéreau gewidmet
1976 hängt ein Gewitter über Bayreuth. Das Publikum hat gerade die erste Aufführung des Ring des Nibelungen in der Inszenierung von Patrice Chéreau gesehen, dirigiert von Pierre Boulez. Einige Besucher ringen vor Wut regelrecht nach Luft, und man hört erbitterte Bemerkungen wie „Verflucht sei dieser Ring!“.
Uwe Faerber, Professor an der Berliner Hochschule der Künste, listet 1977, empört von der Aufführung, die Fehlinterpretationen in der Inszenierung auf: Der Staudamm mit seinen mechanischen Einrichtungen stellt den Rhein dar, die Rheintöchter sind in Prostituierte verwandelt etc. Trotzdem endet der „Jahrhundertring“ einige Zeit später als Triumph und erhält 1980 eine Stunde und zwanzig Minuten Beifall.
Die Besucher, die das Glück hatten, die Aufführung zu sehen, feiern stets den Erfindungsreichtum und die Originalität des Regisseurs Patrice Chéreau und des Dirigenten Pierre Boulez.
Dieser „Jahrhundertring“ kam wie gerufen, um die Drohungen des französischen Komponisten gegen die Opernhäuser vergessen zu machen. Wenig zuvor, im Jahr 1967, hatte Der Spiegel unter dem explosiven Titel „Sprengt die Opernhäuser in die Luft“ ein Interview mit Pierre Boulez über die Zukunft der Oper veröffentlicht.
Zu dieser Zeit ging der Komponist des Marteau sans maître sehr ernsthaft mit der Möglichkeit um, selbst eine moderne Oper zu schreiben.
Als...