Gespräch
Regie oder Künstlerische Begleitung?
Inszenierungsprozesse differenziert abbilden
An Joachim Fleischer, der in unterschiedlichen Produktionen der Figurentheaterszene als Reflektor, ‚Außenblicker‘ oder künstlerischer Begleiter und Lichtgestalter (z.B. Duo florschütz & döhnert, Tangram Kollektiv, Wilde&Vogel, Rafi Martin oder bei der Numen Company) fungiert, schickte der double-Autor André Studt einige Fragen betreffs seines Selbstverständnisses als Regisseur oder eben: als künstlerischer Begleiter. Für Joachim Fleischer waren diese Fragen Ausgangspunkt für den Versuch, eine nicht immer klare Position im Inszenierungsprozess zu beschreiben und zu benennen.
von André Studt und Joachim Fleischer
Erschienen in: double 44: Regie? – Zwischen Autor*innenschaft und Außenblick (11/2021)
Assoziationen: Regie Puppen-, Figuren- & Objekttheater
André Studt: Ist „Künstlerische Begleitung“ ein Euphemismus für Regie?
Joachim Fleischer: Ich komme originär nicht von der darstellenden, sondern von der bildenden Kunst. Viele Prozesse der (freien) Figurentheaterbühnen in ihrer künstlerischen Arbeit sind mir sehr geläufig. Oft sind diese Prozesse ja stark bildnerisch geprägt und ausgerichtet, zumal die Mitwirkenden in der Regel nicht nur darstellerisch, sondern auch in Bau und Gestaltung der Figuren, der Objekte, des Bühnenbilds und Sets tätig sind. Darin steckt so etwas wie der Universalgedanke eines Künstlers.
Der Versuch einer Begriffsbestimmung von Regie ist, glaube ich, in diesem Zusammenhang vor allem dem Verfahren und der Praxis der Bühnen selbst geschuldet. Von den Bühnenmitgliedern aus entstehen die ersten Konzeptionen und Ideen für Stücke und Theaterformen. Dadurch ist das künstlerische Konzept erstmal stark geprägt von der jeweiligen Bühne.
Da es dann meist um die Darstellung und Entwicklung der eigenen künstlerischen Sprache einer Bühne, mit der ich arbeite, geht, greifen manche, teils konventionelle Grundannahmen, die mit dem Begriff ‚Regie’ verbunden sind, hier wahrscheinlich nicht mehr. Deshalb gibt es Versuche, diesen Prozess anders zu benennen und abzubilden. Wunschprojektion dabei ist vielleicht, den nicht autoritären Partner mit reflektorischem Blick, Überblick, Außenblick, als Begleitung zu finden, eine Persönlichkeit, die im Sinne der produzierenden Bühne ein Stück mit erarbeitet, begleitet … aber dadurch de facto auch mitgestaltet.
Die Entwicklung der Begriffsbestimmung hin zur künstlerischen Begleitung, ob nun in Konzeption oder Szenenentwicklung, markiert schon den Stellenwert der Eigenständigkeit einer Bühne, weil damit ein Diktat von außen und die Vorstellung einer federführenden Regie unmöglich ist. Ich denke, dass das Infragestellen von Begriffsbestimmungen bzw. das Ringen um angemessene Begriffe etwas ist, was nicht nur in einer Theaterproduktion, sondern in vielen gesellschaftlichen Bereichen und Ebenen zu finden ist. Wie eine Art von Durchleuchten und Entmisten von Begriffen und damit verbundenen Haltungen … Der Nimbus, den die Regie hat, ist, glaube ich, schon geprägt von der Angst der Figurentheaterschaffenden vor dem Verlust der eigenen künstlerischen Sprache. So kann die Zusammenarbeit zu einem Grenzgang werden, denn auch ein begleitender Außenblick verlangt Schärfe der Betrachtung und trägt unweigerlich regiehafte Züge.
Muss eine künstlerische Begleitung die eigene Expertise im Hintergrund parken?
Wichtig ist in diesem Begriffsbestimmungsdschungel, dass natürlich auch dem Außenblick, der künstlerischen Begleitung etc. eine Wertigkeit zugemessen wird, gerade weil der Begriff ‚künstlerische Begleitung‘ nicht etabliert ist und vielleicht noch nebulös erscheint. (…) Ich gehe davon aus, dass mein künstlerisches Zutun genauso ernst genommen wird, wie mein Mich-Einlassen auf die jeweilige Welt der Bühne.
Meiner Erfahrung nach bedeutet künstlerische Begleitung wirklich einen langen Prozess – es ist keinesfalls ein Nebenschauplatz. Dabei fängt auch dieser Begriff nicht alles auf, und teilweise hinkt er hinterher. Deshalb versuchen wir in unserer Arbeit über die ‚Teilhabe in Idee, Konzeption‘ oder Begrifflichkeiten wie ‚Stückentwicklung im Team‘ dies in den Credits zu bezeugen und zu benennen. Das klingt kompliziert, entspricht aber vielleicht einer Verfeinerung des Inszenierungsprozesses und bildet diesen differenzierter ab.
Natürlich gibt es auch Bühnen, die mit dem Begriff ‚Regie‘ arbeiten und bei denen ich als „Regie“ abgebildet bin. Im Falle des künstlerischen Begleiters kann ich zur Entwicklung und Präzisierung der eigenen Ausdrucksform einer freien Bühne beitragen und trotzdem mit meiner künstlerischen Haltung präsent sein. Dies auch in verschiedensten Produktionen. Das ist die nicht sichtbare Ebene. Zu dieser vordergründig nicht sichtbaren Ebene meines Zutuns – dem reflektorischen Ansatz – gibt es zudem die sichtbare, die sich in der Lichtgestaltung und -konzeption ausdrückt. Ziemlich crazy das Ganze … aber gut.
Wie wichtig ist das Prinzip der teilnehmenden Beobachtung?
Ist es teilnehmende oder teilnahmslose Beobachtung? Ist es aktive und interpretierend fortschreitende Beobachtung? Gestaltende Beobachtung, klärende Beobachtung, hinweisende Beobachtung, spiegelnde Beobachtung? Überhaupt Beobachtung? Ich empfinde es als sehr aktiven Prozess, der auch hohe Anforderungen stellt. Es ist ein Herausfinden, was funktioniert, was funktioniert für die Bühne, die unter bestimmten ästhetischen Vorstellungen einer Idee folgt. Für mich ist es die Arbeit an Zusammenhängen und Interaktionen der einzelnen Parameter eines Stückes, die Arbeit an einer darstellerischen Präsenz auf einer Bühne oder an der eines künstlichen Raumes etc., die Arbeit an der Möglichkeit der Kombination von Bewegung, Sprache der Zutaten, Ton, Musik … ein Filtern und Herausfinden ... In der künstlerischen Begleitung kommt einem der Aspekt einer spielerischen Haltung vielleicht nicht zwangsläufig in den Sinn. Aber es geht mehr um das Aufspüren von Potenzialen, ohne etwas künstlich darauf zu setzen. Vielleicht ein Sich-Einlassen, Erkunden, Schärfen … Also suchen wir weiter nach dem richtigen Begriff … – www.joachimfleischer.de