Theater der Zeit

Thema: Theater in Mecklenburg-Vorpommern

Weltreisender in Residenz

Das Schloss Bröllin in Mecklenburg-Vorpommern ist dank Gründungsdirektor Peter Legemann mit anderen Künstlerhäusern längst global vernetzt

von Frank M. Raddatz

Erschienen in: Theater der Zeit: Aleksandar Denic: Realität des Absurden – Bühnen für Castorf in Berlin und Bayreuth (06/2013)

Assoziationen: Mecklenburg-Vorpommern Schloss Bröllin

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Seit geraumer Zeit sind Residenzen für bildende Künstler oder sogenannte Stadtschreiber gang und gäbe. Zwischen Sylt und dem Schloss Solitude bei Stuttgart finden sich eine Vielzahl von Initiativen, die willens sind, für einen überschaubaren Zeitraum ausgewählte Künstler mit dem Genius Loci ins kreative Vernehmen zu setzen. Übersichtlich wird das Angebot schlagartig, sucht man eine Einsiedelei für Performer. Denn diese begnügen sich nicht mit einer idyllisch gelegenen Einraumwohnung, sondern treten zumeist in Gruppen mit Heißhunger auf einen Bühnenraum auf. Der einzige Ort in Deutschland, der eine derartige Sättigung verspricht, ist Schloss Bröllin in Mecklenburg-Vorpommern. 1991 entdeckte das Berliner R.A.M.M.-Theater die ehemalige Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft an der polnischen Grenze auf der Suche nach Probenräumen und bat Peter Legemann, das Management zu übernehmen. Unter seiner Leitung avancierte das Gelände bald zum Geheimtipp, und immer mehr Formationen fragten nach, ob auch sie auf dem Land in Klausur gehen könnten. Nach etlichen Schwierigkeiten wurde der Grund schließlich von der Treuhand erworben. Mittlerweile stehen auf 50 000 Quadratmetern Studios, Bühnen und Schlafmöglichkeiten für hundert Akteure zur Verfügung. Die Küche verpflegt die Gäste mit Biofood oder kann selbst genutzt werden. Um die acht kostenlosen vier- bis sechswöchigen Residenzen bewerben sich jährlich weit über hundert internationale Projekte aus den Bereichen Performance, Tanz und Theater.

Eine weltweite Studie aus dem Jahr 2011 zur Situation von Residenzhäusern und zu Erwartungen und Erfahrungen der Künstler – kurz PAiR (Performing Arts in Residence) genannt – förderte zutage, dass der Bedarf ständig steigt. Hierfür sind zwei Faktoren maßgeblich: zum einen die allgemeine Transformation der darstellenden Kunst, wo Projekte freier Gruppen immer populärer werden; zum anderen sind die Teilnehmer der Truppen immer weniger lokal gebunden, so dass was einmal als Verbund in einer Stadt begann, sich mehr und mehr als Verbindung von weit verstreut wohnenden Künstlern darstellt. Die Residenz hat für diese Streuung eine auch ökonomisch vernünftige, das heißt den oft begrenzten Fördergeldern angemessene Antwort parat. Der 52-seitige Report (der auf Wunsch von Schloss Bröllin als PDF zugesandt wird) zeigt zudem, wie die Künstlerhäuser heute rund um den Globus vernetzt sind. Mit dem intensiven Austausch aller unter dem Netzwerk Res-Artis organisierten Künstlerhäuser hat die Globalisierung längst in die Internationale der Residenzen Einzug erhalten.

Peter Legemann, auch in dieser Hinsicht ein Mann der ersten Stunde, gilt bei den General-Meetings in Montreal (2010), Tokio (2012) oder beim Performing Arts Market in Seoul und beim TPAM, dem Performing Arts Meeting in Yokohama (2012), als kompetenter Kenner der Szene. Ob es um Residenzen in Asien oder in Australien geht, Peter Legemann kennt, wenn er nicht bereits das Terrain in Augenschein genommen hat, zumindest die Betreiber. In seiner Hand laufen Recherchen zu den weltweiten Künstlerresidenzen zusammen. Er vergleicht Konzeptionen und Modelle, um zu ermitteln, was die einzelnen Häuser unter jeweils vollkommen unterschiedlichen Bedingungen voneinander lernen können, und prüft, wie sich umfassende Kooperationsmöglichkeiten entwickeln lassen. Wer beispielsweise wissen will, ob er mit seinem Anliegen besser im Kyoto Art Center oder der Dance Box Kobe aufgehoben ist, wer erfahren will, welche Voraussetzungen bei einer Bewerbung für das Shizuoka Performing Arts Center oder den Youkobo Art Space in Tokio erfüllt werden müssen, oder ob er sich doch besser an das Morishita Studio oder das Yamaguchi Center wendet, fragt am besten Peter Legemann. Vielleicht rät der umtriebige Exinformatiker, Gründungsdirektor und Vorstand von Schloss Bröllin auch gleich von Japan ab und empfiehlt eine Location in Südkorea. Jedenfalls kann der bislang einzige Weltreisende in Sachen „Residenz“ auf einen ganz singulären Schatz von Kenntnissen zurückgreifen, den er erwiesenermaßen gerne teilt.

Während des Festivals Testlabor PAiR auf Schloss Bröllin geht es dann ganz regional zu, wenn Kunst- und Kulturschaffende aus Vorpommern am 16. Juni gemeinsam mit Verantwortungsträgern aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung über Möglichkeiten debattieren, wie Kunst und Kultur zu einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung beitragen können. Am Ende soll ein Kulturentwicklungsplan für Vorpommern stehen. Um aktive Partizipation wird gebeten.//

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