Theater der Zeit

Gespräch

„Der Auftrag, den wir uns selbst geben möchten“

Ein Gespräch mit Line Eberhard und Marcel Grissmer vom Theater Stadelhofen

Nach mehreren Leitungswechseln gilt es nun für das Theater Stadelhofen, das Profil neu zu schärfen. Franziska Burger führte mit Line Eberhard und Marcel Grissmer ein Gespräch über die Alleinstellungsmerkmale des Theater Stadelhofen, das Theaterverständnis der neuen Co-Leitung und was die Zukunft bringen wird. Das Zürcher Theater Stadelhofen ist eines der grössten Gastspiel- und Koproduktionshäuser der Schweizer Figurentheaterszene. In den letzten Jahren kommt es auf der Leitungsebene nicht zur Ruhe: Nachdem Helmut Pogerth während zehn Jahren bis zum Ende der Spielzeit 2016/2017 das Theater Stadelhofen geleitet hat, traten Françoise Blancpain und Benno Muheim als Co-Leitung die Nachfolge an. Muheim verliess bereits 2019 wieder das Haus, um sich auf die Arbeit mit den Gruppen Theater Hand im Glück und Silberbüx zu fokussieren. Seine Nachfolgerin wurde die Theaterproduzentin Line Eberhard. Nun, kurz vor der entscheidenden Eingabe beim Kanton Zürich für eine Konzeptförderung, gibt es wieder einen Wechsel: Françoise Blancpain geht und Marcel Grissmer, Theaterpädagoge und -produzent, tritt an ihre Stelle. Zeit, um mit der neuen Co-Leitung einen Blick nach vorne zu werfen.

von Marcel Grissmer, Franziska Burger und Line Eberhard

Erschienen in: double 46: Networking – Netzwerkmodelle im Figurentheater (11/2022)

Assoziationen: Akteure Puppen-, Figuren- & Objekttheater Schweiz

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Mit der neuen Co-Leitung und der Eingabe für eine Konzeptförderung sind gerade zwei grosse Meilensteine zu bewältigen.

Marcel Grissmer: Auf den ersten Blick erscheint es, als ob jetzt alles zusammenkommt und grosser Umbruch herrscht: Françoise geht und ich komme dazu. Aber wenn man einen Schritt zurück macht, merkt man, dass gar nicht alles so zusammenkommt, eigentlich ist es ein Prozess von drei Jahren: Von Françoises Entscheidung zu gehen, über unsere Arbeit am spezifischen Konzeptantrag, bis zur eventuellen Genehmigung des Antrags. Erst mit der Spielzeit 2024/25 kann man dann sagen, dass die Gedanken, die wir (zeigt auf sich und Line Eberhard) jetzt im Zusammenhang dieses Antrags hatten, realisiert werden.

Line Eberhard: Dieses Haus war schon lange ein Haus für Figurentheater. Es wurde von Menschen aus der Szene gegründet – das macht absolut Sinn für diese Stadt und das führen wir sicherlich fort.

Was wird sich ändern?

LE: In Zukunft wollen wir mehr über Dinge kommunizieren und den Kontakt über Dingbeziehungen herstellen. Das ist auch die Kernkompetenz dieses Hauses. Das Stück „Kaffee mit Zucker?“ von Laia RiCa ist ein gutes Beispiel dafür: Fast alle trinken Kaffee und so stellt sich eine unmittelbare Beziehung zum Material und dem, was auf der Bühne verhandelt wird, her.

MG: Wir kommen immer wieder zurück auf die Möglichkeit, jede Frage und jede Auseinandersetzung greifbar zu machen mit einem Ding. Es macht Spass, der Frage nachzugehen, welche Möglichkeiten wir haben, um Beziehungen über Dinge oder Materialität herzustellen: Wie können Sachen verhandelt und sichtbar gemacht werden, die sonst nur im diskursiven Raum existieren und sehr versprachlicht sind?

Ist dies auch der Anknüpfungspunkt, wie ihr Theater machen, fördern, produzieren möchtet?

LE: Dies ist auch der Auftrag, den wir uns gerne selbst geben möchten. Damit hat es nicht nur Platz für das ganze Spektrum des Theaters der Dinge, sondern lässt auch Raum, um über das Ding zu verhandeln. Da sind wir auch wieder bei der Querwuchs-Thematik: Wenn sich Künstler*innen für ein Thema, eine Materialität oder einen Gegenstand entscheiden, können wir als Haus einerseits eine Ansprechperson sein, aber auch eine Plattform bieten, damit bspw. Puppenspieler*innen mit anderen Künstler*innen einen Wissens-austausch haben können, der so kaum stattfindet. So kann sich sehr viel öffnen.

So ist Theater nicht nur Ort der Verhandlung, sondern auch der Vernetzung und Förderung?

MG: Ja, im besten Fall! Und das ist eine pragmatische Herausforderung: Wie kriegt man verschiedene Menschen zur selben Zeit in denselben Raum? Oder wenn das nicht möglich ist, wie kann man diesen Austausch anders stattfinden lassen?

LE: Das ist eine Entwicklung, die wir verstärkt weiterführen möchten in den kommenden Jahren. Wir sind eines von zwei Häusern in Zürich, das eine Leistungsvereinbarung hat, Theater für ein junges Publikum zu programmieren und zu schaffen. Es ist total wichtig, Gruppen vermehrt auf ihrem Weg zu unterstützen, gerade wenn sie noch nie für ein junges Publikum produziert haben. Denn es gibt immer mehr Schulklassen, die gutes Theater sehen müssen und sollen. Zudem soll in zehn Jahren in Zürich das geplante grosse Haus für junges Publikum aufgehen und bis dahin braucht es auch Gruppen, die das füllen können!

Hängt mit diesem Leistungsauftrag auch der Schwerpunkt auf Kulturvermittlung zusammen, der auch in der Ausschreibung für die Position der Co-Leitung sehr stark gemacht wurde?

LE: Vermittlung hat immer schon stattgefunden, nicht zuletzt durch Gabi Mojzes oder Benno Muheim und Françoise Blancpain. Ich selbst habe keine pädagogische Ausbildung und wollte deshalb eine Person, die spezifisch eine theaterpädagogische Ausbildung hat, um diesen Bereich weiterzuentwickeln. Auch, weil wir daran glauben, dass Theater mehr ist als nur irgendwohin zu gehen, etwas zu gucken und dann wieder zu gehen.

MG: Künstlerische Prozesse sind nicht mehr ohne die Teilhabe zu denken. Und da ist die Szene den Förderkriterien Jahre voraus: Die Vermittlungsarbeit um die Produktionen herum ist nichts Sekundäres. Wir haben ein grosses Interesse, die künstlerischen Prozesse zu öffnen und das Publikum und das Noch-nicht-Publikum an dem Wissen der Produktionen teilhaben zu lassen.

LE: Und in dem Sinne möchten wir auch expandieren. Es ist seit Jahren ein Thema, dass dieses Haus keinen Proberaum hat. Wir haben verschiedene Anläufe unternommen Proberäume zu teilen, aber so, wie wir gerne arbeiten möchten, müsste es ein Raum sein, der in der Nähe und ebenerdig zugänglich ist, der an der Oberfläche, „bei den Dingen“ ist.

In dem Masse zu koproduzieren sind wir schon lange an unseren Grenzen. Und die Erfahrung zeigt, dass es nicht nur wünschenswert ist, sondern auch nötig, dass wir in der Nähe der Künstler*innen sind, damit wir als Ansprechpartner*innen fungieren können und dass es hier auch lebt! Wir wünschen uns einen lebendigen Innenhof und ein lebendiges Foyer, das nicht nur eine halbe Stunde vor und nach der Aufführung Leute beherbergt. Da gäbe es noch viel Potential, das im Moment mit den aktuellen Voraussetzungen – Subventionen etc. – nicht umsetzbar ist. - www.theater-stadelhofen.ch

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